Perspektiven – eine Serie über die wichtigsten Themen unserer Zeit
Teil 6:
Neuer Brennstoff für den Wirtschaftsmotor
Wie Wasserstoff das Wachstum der deutschen Industrie befeuern kann
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Eine Initiative von:
Grüner Wasserstoff gilt als Hoffnungsträger für Klimaneutralität und wirtschaftlichen Wandel. Doch Unternehmen kämpfen mit hohen Kosten und politischer Unsicherheit. Wie kann der Durchbruch gelingen?
Wasserstoff gilt als zentraler Baustein der Energiewende. Besonders seine grüne Variante – hergestellt mittels Sonne, Wind oder Wasserkraft – trägt dazu bei, Emissionen drastisch zu reduzieren und langfristig klimaneutral zu wirtschaften. Der vielseitige Energieträger hat aber nicht nur das Potenzial, fossile Brennstoffe zu ersetzen, sondern bietet Perspektiven für die wirtschaftliche Entwicklung. Deutschland fördert daher den Auf- und Ausbau der Wasserstofftechnologie mit einer nationalen Strategie und zahlreichen Projekten. Die Aktivitäten reichen von lokalen Pilotvorhaben bis hin zu internationalen Partnerschaften. Doch wie kann Wasserstoff konkret den wirtschaftlichen Wandel unterstützen?
Das Problem von Henne und Ei
Thomas von Unwerth, Professor für Alternative Fahrzeugantriebe an der Technischen Universität Chemnitz, geht mit gutem Beispiel voran: Mit seinem Brennstoffzellen-Pkw hat er in drei Jahren schon rund 90.000 Kilometer zurückgelegt. Etwa 100 Wasserstofftankstellen gebe es bereits in Deutschland. Den Gesamtbedarf schätzt er auf 400 Tankstellen. Für eine Beschleunigung des Aufbaus einer Wasserstoffwirtschaft engagiert sich von Unwerth auch in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender des Wasserstofftechnologieclusters HZwo in Chemnitz, wo in den nächsten Jahren das nationale Innovations- und Technologiezentrum für Wasserstoff (ITZ) entstehen soll. Bundesministerien und der Freistaat Sachsen fördern den Aufbau mit zusammen 87,5 Millionen Euro. H2 gilt aktuell als der nachhaltigste Energieträger für alle Anwendungsfelder, fristet aber bisher ein Exotendasein. Es sei das Problem von Henne und Ei, erläutert der Professor: „Für günstige Preise müssen Komponenten im großen Serienmaßstab produziert werden – dafür ist ein entsprechender Markt erforderlich.“ Die Stückzahlen der technischen Komponenten für Herstellung und Verbrauch von Wasserstoff seien noch zu gering.
Es ist jedoch keineswegs so, dass mit der Wasserstofftechnologie noch keine Umsätze erzielt würden. Die SITEC Industrietechnologie GmbH mit Sitz in Chemnitz zählt als Maschinen- und Anlagenbauer zu den exportstarken mittelständischen Unternehmen. Darüber hinaus hat sich die Serienproduktion von Komponenten und Bauteilen seit mehr als zwanzig Jahren zu einem wichtigen Geschäftsfeld entwickelt. Basierend auf der Kerntechnologie von SITEC, dem Laserschweißen, sind es zunehmend Bipolarplatten und Interkonnektoren, die für Elektrolyseure oder Brennstoffzellensysteme benötigt werden.
„Wir wollen keinen Teil des Kuchens – wir wollen mitbacken“
Auch SITECs Geschäftsführer Dr. Jörg Lässig ist überzeugt vom Energieträger H2: „Wir investieren massiv Geld und Ressourcen und sind damit auch international in Europa und Asien erfolgreich. Für uns ist das ein strategisches Geschäft, in dem wir nennenswert Umsätze erzielen.“ Auch wenn der Anteil am Gesamtumsatz noch sehr gering sei. „Aber die Wasserstoffindustrie wird sowohl in Europa als auch in China deutlich wachsen. In wenigen Jahren erwarten wir deshalb siebenstellige Umsatzbeiträge.“ Der Maschinenbauingenieur fügt hinzu: „Wir wollen nicht einen Teil des Kuchens haben, sondern ihn mitbacken.“
Allerdings gelte es noch manches Hindernis zu überwinden: „In Deutschland tun wir uns schwer, weil wir hier das Thema meisterlich zerreden, uns in argumentativen Details verlieren und keinen Weg finden, dafür in der Breite Verständnis, Interesse und Motivation zu schaffen. Wir forschen zwar, streiten uns aber im Kleinen über die Sinnfälligkeit, und dabei merken wir nicht, dass andere Länder uns da im Wettbewerb überholen.“ Ihm fehle ein nationaler Plan, eine Guideline zur kommerziellen Umsetzung des Themas. „Es ist bisher nicht in der Wertschöpfung der Unternehmen angekommen. Einige tun etwas, aber das hat nicht die Größenordnung, die es haben könnte, wenn ich mir andere europäische Regionen, wie etwa Skandinavien, Frankreich oder das Baltikum anschaue.“





Eine halbe Milliarde Datenpunkte pro Projekt
Wie komplex die Planung von Wasserstoffprojekten ist, zeigt eine Software, die der Wirtschaftsingenieur Konrad Uebel mit seinem Freiberg Institut auf den Markt gebracht hat. Das Tool mit dem Namen Edgar hilft beim Planen von Projekten rund um den Energieträger Wasserstoff. Zu seinen Nutzern zählen Hersteller von Wasserstoff (Elektrolyseure), Energieversorger, Stadtwerke, Transportunternehmen, Flottenbetreiber und Fährbetriebe. Der Marktpreis für Strom, essenziell für das Verfahren zur Trennung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff, reagiere extrem sensibel auf Angebotsschwankungen und schlage auf den Wasserstoffpreis durch, weshalb eine gezielte Nutzung preisgünstiger Phasen essenziell für den wirtschaftlichen Erfolg sei, erläutert Uebel. „Unsere Kunden können einen digitalen Zwilling der geplanten Anlage erstellen und beispielsweise ein Jahr im Minutentakt simulieren. Pro Projekt erzeugen wir eine halbe Milliarde Datenpunkte.“ Machbarkeitsstudien als Grundlage für Entscheidungen über Investitionen wie etwa in eine Betriebshoftankstelle müssten hoch dynamische und nicht standardisierbare Rahmenbedingungen berücksichtigen – „genau dafür dient unser Werkzeug“. Seitens der Politik wünscht sich Uebel „Verlässlichkeit und eine Regulatorik, die das schnelle Vorankommen ermöglicht und nicht erschwert“.

„Wasserstoff kann fossile Energien ersetzen. Damit das gelingt, braucht es intensive Forschung und unzählige Innovationen. Wir unterstützen beides – für eine nachhaltige Zukunft und eine starke Wirtschaft.“
Nicht auf öffentliche Fördermittel gewartet hat der Zwickauer Fahrzeug-Entwicklungsdienstleister FES GmbH, sondern gleich selbst einen Brennstoffzellen-Lkw gebaut. Über mangelndes Interesse potenzieller Kunden kann sich der Fahrzeug- und Maschinenbauingenieur Felix Herrmann, Leiter des Projekts, nicht beschweren. Aber er sieht politische Umstände als Innovationsbremse: „Die aktuelle politische Situation spielt gegen uns: Es stand in Aussicht, dass Lkw-Käufer 80 Prozent des Mehrpreises gegenüber einem konventionellen Diesel-Lkw als Förderung bekommen – aber dafür sind jetzt keine Haushaltsmittel eingeplant, und jeder Interessent zögert. Wir würden ja gern, sagen viele, aber vielleicht gibt es ja nach dem Februar wieder die Förderung, und dann haben wir dreihundert bis vierhunderttausend Euro in den Sand gesetzt.“ Für Herrmann steht trotzdem außer Frage, dass die Wasserstoffwirtschaft früher oder später auch in der Breite ankommen wird. So rundet auch der Maschinenbauingenieur seine Ausführungen mit einem Hinweis auf das Henne-Ei-Problem ab – wo kein Markt, da keine Innovationen, und umgekehrt. In diesem Fall ergänzt um den Zusatz: „Wir haben uns des Eies angenommen.“
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