Die Pandemie, Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine und stark steigende CO2-Kosten: Die weltweiten Lieferketten werden unsicherer und teurer. Mit welchen Strategien stärken Unternehmen die Widerstandsfähigkeit ihrer gestörten Lieferketten?
Bis vor Kurzem galt im Zeitalter der Globalisierung nur eine Regel: Produziert wurde immer dort, wo in Asien, Südamerika oder Afrika die günstigsten Stückkosten lockten. Doch die letzten zwei, drei Jahre haben gezeigt, wie krisenanfällig und verwundbar die arbeitsteilige Weltwirtschaft ist. Als während der Pandemie erst China, dann Europa und Nordamerika ihre Grenzen schlossen, kamen der internationale Handel und Warenverkehr zum Erliegen, und die Frachtraten für Container vervielfachten sich.
„Durch die Störung der Lieferketten ist nichts mehr sicher“, erklärt Jan Philippi, Eigentümer des gleichnamigen Designlabels. „Dass sich Containerpreise innerhalb von Wochen verfünffachen könnten, hätte ich mir nie träumen lassen. Wann kommt die bestellte Ware, in welcher Qualität wird sie geliefert, zu welchem Preis kann ich nachbestellen? Die Beschaffung wurde zum Lotteriespiel.“
Durch frühzeitige Disposition und höhere Lagerbestände versucht das Designunternehmen, dieses Risiko zu minimieren. Gleichzeitig „sinkt die Nachfrage derzeit aber, da die Kunden andere Sorgen, wie die hohen Energiepreise, haben. Dadurch wird ein zu hoher Lagerbestand zum Risiko“, resümiert der Unternehmer.
Über die Resilienz ihrer Lieferketten beginnen inzwischen viele Unternehmen nachzudenken. Nicht mehr nur günstige Arbeits- und Energiekosten entscheiden darüber, wo produziert und eingekauft wird. Auch die Frage, wie zuverlässig die Lieferkette ist, spielt eine wichtige Rolle. So versuchte das Designlabel Philippi während der Corona-Pandemie, Container aus China per Bahn statt per Schiff zu verladen. „Zusätzlich haben wir die Produktion diverser Artikel von China nach Indien verlagert“, erläutert Jan Philippi, „und derzeit sehen wir uns wieder stärker in Europa um. Welche Produktionsstätten gibt es beispielsweise in Osteuropa, und was könnten wir dort fertigen lassen?“

Jedes dritte Unternehmen hat bereits neue oder zusätzliche Lieferanten für benötigte Rohstoffe, Vorprodukte oder Waren gefunden.
Carolin Herweg
Dass Lieferketten deutscher Unternehmen auf dem Prüfstand stehen, zeigt auch der AHK World Business Outlook Herbst 2022. „Jedes dritte Unternehmen hat bereits neue oder zusätzliche Lieferanten für benötigte Rohstoffe, Vorprodukte oder Waren gefunden“, analysiert Carolin Herweg, Referatsleiterin Internationale Konjunktur bei der DIHK. Weitere 30 Prozent seien noch auf der Suche. „Neben der Überprüfung von Lieferketten und Standorten ergreifen die Unternehmen weitere Maßnahmen, um ihr Geschäft zu stabilisieren: 41 Prozent geben an, den hohen Kostendruck bereits an die Kunden weitergegeben zu haben, weitere 34 Prozent planen noch Preiserhöhungen, die Inflation bleibt auch 2023 weltweit ein bestimmendes Thema“, prognostiziert Herweg.
Explodierende Frachtkosten
Für die Designmanufaktur Philippi sind die Einkaufspreise in Indien und China im Jahr 2020 um rund 15 bis 20 Prozent gestiegen. Hinzu kamen explodierende Transportkosten, sodass sich die Preise gerade bei größeren Produktionen mehr als verdoppelt haben. „Jetzt ist das Lager voll mit teuer importierter Ware. Aber durch das Sinken der Frachtraten hoffen wir, im Jahresverlauf wieder deutlich gesunkene Beschaffungskosten zu haben. Dann können wir auch unsere Verkaufspreise wieder senken“, hofft Jan Philippi.
Das neue Lieferkettengesetz
Gleichzeitig müssen deutsche Unternehmen seit dem 1. Januar ihre weltweiten Zulieferer strenger kontrollieren. Mit dem Lieferkettengesetz sollen Missstände wie Kinderarbeit und Umweltzerstörung eingedämmt werden. Das neue Gesetz betrifft zunächst Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitern in Deutschland. Ab 2024 sollen die Vorgaben auch für Unternehmen ab 1000 Mitarbeitern gelten. Bei Verstößen drohen Bußgelder von bis zu zwei Prozent des Jahresumsatzes. Laut einer Umfrage des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik sind die meisten Unternehmen in Deutschland allerdings nur mittelmäßig bis schlecht auf das seit 1. Januar geltende Gesetz vorbereitet.
„Angesichts von drohenden Bußgeldern und Sanktionen verwundert es, dass Unternehmen, die bis zu 20.000 oder gar mehr Lieferanten beschäftigen, glauben, die Masse der anfallenden Daten und Informationen entlang der eigenen Lieferketten allein manuell erfassen, auswerten und berichten zu können“, erklärt Osapiens-Gründer Stefan Wawrzinek. Das Start-up hat eine Softwarelösung entwickelt, die in der Lage ist, alle Informationen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu erfassen – vom Rohstoff über das fertige Produkt bis hin zum Verkauf an den Endkunden. Auch Ereignisse außerhalb des Produktionsprozesses werden erfasst. „Außerdem kann das Risikomanagement, wie beispielsweise die jährlich durchzuführende Risikoanalyse, anhand rechtskonform formulierter Selbstbewertungsformulare für Lieferanten erfolgen, die sich an branchen- oder kundenindividuelle Anforderungen anpassen und jederzeit erweitern lassen“, erläutert Stefan Wawrzinek.

Auch kleinere und mittlere Unternehmen in Deutschland werden mit den Anforderungen des Lieferkettengesetzes – wenn nicht schon jetzt – spätestens aber ab 2024 unweigerlich in Kontakt kommen.
Stefan Wawrzinek
Die Unternehmen müssen sich auf die Umsetzung des Lieferkettengesetzes vorbereiten. „Auch kleinere und mittlere Unternehmen in Deutschland werden mit den Anforderungen des Lieferkettengesetzes – wenn nicht schon jetzt – spätestens aber ab 2024 unweigerlich in Kontakt kommen“, warnt Wawrzinek. Denn im Mai wird die EU mit deutlich strengeren Regeln nachziehen, und Deutschland wird dann wohl noch einmal nachschärfen müssen. Und von der europäischen Regelung sind deutlich mehr Unternehmen betroffen. Denn sie betrifft bereits Unternehmen sowie in der EU tätige Unternehmen aus Drittstaaten ab 500 Mitarbeitenden und mehr als 150 Millionen Euro Umsatz.