Nichts für Schattenparker

Die neue Version der flotten Kiste, jetzt mit dem solaren Reichweitenturbo. Der Sion von Sono Motors kann über Solarzellen im Dach Elektrizität nachtanken. 2023 soll er auf den Markt kommen. Foto Sono Motors GmbH
Ein sich selbstladendes Elektroauto – das klingt fast wie das sagenhafte Perpetuum mobile. Nur die Sonne hilft ein bisschen mit. Viele haben daran gearbeitet, ab 2023 kommt erste Exemplare auf den Markt.
Von Jürgen Hoffmann
Ein Elektroauto mit Platz für vier, einem großen Kofferraum und einer Reichweite von bis zu 305 Kilometern, das sich selbst über die Energie der Sonne lädt? Klingt nach echter Zukunftsmusik, soll aber schon nächstes Jahr auf den Markt kommen. Bei diesem Hoffnungsträger für Elektromobilisten, die sich von der Ladeinfrastruktur unabhängig machen wollen, handelt es sich um das Solar-Auto „Sion“. Entwickelt wurde der E-Van vom Münchner Start-up Sono Motors, in Serie produzieren wird ihn der finnische Auftragshersteller Valmet Automotive in dessen Werk in Uusikaupunki. Valmet hat damit Erfahrung und baut auch andere Autos, die mit selbstgetankter Sonnenkraft fahren, etwa für das niederländische Unternehmen Lightyear. Für 2023 sind erst einmal wenige Tausend Sion geplant, später sollen es rund 43.000 Stück jährlich werden.
Ganz neu ist die Idee nicht, Autos mit Solarenergie anzutreiben, aber jetzt nimmt sie Fahrt auf. Doch wie funktioniert das? Um Sonnenenergie tanken zu können, haben die Entwickler des Sion in die Kunststoffkarosserie 456 Halbzellen eingearbeitet – nahtlos und fast unsichtbar. Das Prinzip heißt: Solarzellen statt Lack. Das gibt es so nur bei den Solarpaneelen von Sono Motors, deren die Biegungen und Wölbungen erlauben, die man von handelsüblichen Dachpaneelen nicht kennt. Auf diese Weise kann das Sonnenauto von der Isar durchschnittlich 112 Kilometer pro Woche zusätzliche Reichweite durch Sonnenenergie gewinnen, in den Sommermonaten sogar „bis zu 245 Kilometer“, sagt Geschäftsführer Jona Christians. Das entspräche ungefähr dem, was ein Pendler im Schnitt fährt: „Der Sion ist gemacht für die tägliche Fahrt.“
Lässt sich auch als Stromspeicher für andere Verbraucher nutzen
Alternativ kann das Fahrzeug auch an der Ladestation aufgeladen werden. In der Regel dauert es 35 Minuten, um den Akku an einer Schnellladestation auf 80 Prozent zu bringen. „Saft“ kann der Sion an allen öffentlichen Ladestationen in Europa, an der Haushaltssteckdose oder sogar von einem anderen Sion bekommen. Denn der Sion kann auch als mobiler Stromspeicher genutzt werden. Möglich macht das ein bidirektionales Ladesystem, mit dem das Fahrzeug nicht nur Strom aufnehmen und speichern, sondern auch wieder abgeben kann.
So lässt sich nach Angaben von Sono Motors das Zuhause bis zu fünf Tage autark mit Energie versorgen. Auch beim Camping oder auf einer Baustelle funktioniert das. Über einen Haushaltsstecker können, so die Entwickler, alle gängigen elektronischen Geräte mit bis zu 3,7 Kilowatt betrieben werden. Jona Christians: „Ich habe einen Schuko-Stecker vorne in der Ladestation und kann jegliches Gerät dort anschließen.“ Auch der Pufferspeicher im Netz werde so sichergestellt. Mit mehreren Sonnenautos von Sono Motors ließe sich ein „virtuelles Kraftwerk“ herstellen: „Sie können Strom aufnehmen, wenn viel Strom verfügbar ist, und Strom wieder abgeben, wenn gerade Strom gebraucht wird.“
Auf Wunsch der Community: Der Sion bekommt einen Start-Stopp-Knopf
Der fünftürige Sion hat die Maße eines Kompaktwagens: Er ist 4,50 Meter lang, 2,10 Meter breit und 1,70 hoch. Die Farbgebung steht in der Tradition Henry Fords, dem das Zitat zugeschrieben wird, man könne seine Autos in allen Farben bestellen, solange es Schwarz ist. Den Sion wird es ebenfalls nur in Mattschwarz geben, das am besten zu den Solarzellen passt. Die Form des Sion ist pragmatisch, erinnert hinten und von der Seite an einen Lancia Y der ersten Generation. Das Interieur ist spartanisch. Neben den Schaltern für die Fensterheber und die Spiegelverstellung im Türgriff gibt es nur noch einen für den Warnblinker auf der Mittelkonsole und den Notausknopf. Auf Wunsch der Community, die bereits Tausende Fahrzeuge bestellt hat, soll der Serien-Sion, der sich per Smartphone-App managen lässt, einen Start-Stopp-Knopf bekommen. Der Motor mit 120 Kilowatt Leistung bringt das Solar-Auto auf eine Höchstgeschwindigkeit von 140 Kilometer pro Stunde. Kosten soll der Sion 28.500 Euro.
Hyundai, Fisker, Mercedes, Tesla: Andere Hersteller arbeiten auch am Auto mit Solardach
Auch andere Elektroautohersteller forschen und entwickeln Stromer mit integrierten Solarpaneelen. Die meisten setzen auf Solardächer. Der Hyundai Ionic 5 beispielsweise ist seit vergangenem Jahr mit einem Dach aus Solarzellen bestellbar. Das soll eine Leistung von 205 Watt liefern. Der Mittelklasse-SUV mit einem 800-Volt-Bordnetz wird mit einer Reichweite von 383 Kilometer beworben. Das optionale Solardach soll eine Zusatzreichweite von rund 2.000 Kilometer jährlich erzeugen. Ein E-Auto mit integriertem Solardach entwickelt auch Fisker Ocean. Laut Herstellerangaben liegt die Reichweite bei rund 560 Kilometer.
Die über die Solarpanel eingefangene Energie werde dem E-SUV „unter Idealbedingungen“ zusätzliche 3.200 emissionsfreie Kilometer im Jahr ermöglichen. Mercedes hat Anfang 2022 das Concept Car Vision EQXX mit einem Solardach präsentiert. Das Solardach soll sukzessive für alle EQ-Modelle der Marke mit dem Stern erhältlich sein. Auch den Tesla Cybertruck soll es in Kürze mit einem optionalen Solarpanel geben, der knapp 25 Kilometer Reichweite pro Tag hinzufügen könnte. Schon früh hatte Tesla erforscht, wie man Solaranlagen auf Elektrofahrzeugen anbringen kann. Die meisten dieser Projekte sind versandet, weil sie entweder nur spezifische Zusatzfunktionen und nicht das eigentliche Akkupaket des Antriebsstrangs mit Strom versorgten oder die generierte Energie zu gering war.
Ökologische Wirkung schlägt Wirtschaftlichkeitsrechnung
Wichtig: Die Maximalmengen an selbsterzeugtem Grünstrom durch ein Solardach, die von den Herstellern genannt werden, sind nur in extrem sonnenreichen Regionen möglich. Deshalb dürften im Alltagsbetrieb die angegebenen solaren Höchstreichweiten nicht erreicht werden. Ein weiterer Faktor beeinflusst die Antwort auf die Frage, ob sich ein Solardach finanziell lohnt oder nicht: der Aufpreis. Beim Hyundai Ioniq 5 wird das Wunsch-Solardach mit 1500 Euro berechnet. Bei einem aktuellen Strompreis pro Kilowattstunde von 37 Cent würde sich eine Anschaffung erst nach zwölf Jahren amortisieren. Auch bei einem Leasingvertrag sieht es nicht besser aus.
Aus wirtschaftlicher Sicht rechnet sich ein Solardach nicht, aus ökologischer Sicht schon, weil man mit eigenem Solarstrom sein Auto zu 100 Prozent mit Ökostrom laden kann. Klar ist: Die Anzahl an verfügbaren Solar-Autos wird in den nächsten Jahren steigen – und die Preise fallen. Steigen werden auch die Leistungen. Die aktuell von den Herstellern genannten maximal möglichen 2.000 bis 6.000 Zusatzkilometer durch Sonnenenergie werden nicht das Ende sein.