Nur manchmal geht’s auch ohne KI

Beim Automated Valet Parking wird der automatisierte Vorfahr- und Einparkservice per Smartphone-App abgerufen. Foto Mercedes-Benz
Selbst ohne Künstliche Intelligenz ist beim automatisierten Fahren vieles möglich, beispielsweise fahrerloses Einparken im Parkhaus. Doch zum rollenden Wohnzimmer wird das Auto erst durch den Einsatz von KI.
Von Lothar Baum
Filme ansehen, online shoppen, ein Nickerchen machen oder E-Mails schreiben – mit dem fahrerlosen Fahren wird das Auto zum mobilen Wohn- oder Arbeitszimmer. Eine Vision, mit der sich die gesamte Automobilindustrie beschäftigt. Neue Konzepte sollen die Sicherheit erhöhen und den Komfort steigern. Vor allem aber soll Mobilität für jedermann verfügbar, nutzbar und bezahlbar sein, sollen Passagiere und Güter nachhaltig und zuverlässig ans Ziel kommen.
Automatisiertes Fahren kann diese Anforderungen unterstützen. Bis es allerdings so weit ist, betrachten Experten die Entwicklung der Technik als eine Art Mehrkampf: Nur wer alle Disziplinen beherrscht, wird am Ende erfolgreich sein. Neben Sensoren, die das Umfeld des Fahrzeugs zuverlässig wahrnehmen, gehört dazu auch die entsprechende Rechenpower. Geeignete Algorithmen übersetzen die Sensorinformationen in die richtige Fahrstrategie, die Aktuatoren, beispielsweise Bremse und Lenkung, schließlich umsetzen.
Erst KI ermöglicht den Umgang mit der Komplexität der „Open World“
Künstliche Intelligenz leistet hier einen zunehmend wichtigen Beitrag. Bereits heute hilft KI, die Leistung vieler Fahrzeugfunktionen zu erhöhen und den Fahrer bei seiner Fahraufgabe zu entlasten – ein einschlägiges Beispiel ist die videobasierte Verkehrszeichenerkennung. KI erlaubt es, über konkrete Beispiel- oder Trainingssituationen hinaus zu generalisieren und bietet somit eine große Chance, mit der schier unendlichen Komplexität der Welt, der sogenannten Open world, umzugehen.
Doch nicht überall wird KI für den fahrerlosen Fahrbetrieb gebraucht. Der automatisierte Parkservice etwa parkt das Fahrzeug auf einem eingegrenzten Einsatzgebiet ganz ohne Fahrer ein, und bisher ohne den Einsatz von KI im Sicherheitssystem. Beim „Automated Valet Parking“ werden das Auto in der Drop-off-Area des Parkhauses abgestellt und die Smartphone-App aktiviert. Der digitale Kontakt zum Parkhaus wird hergestellt, die Route zum freien Parkplatz berechnet, dann übernimmt das Parkhaus die Führung. Kameras erkennen freie passende Parkplätze und überwachen den Fahrkorridor sowie dessen Umfeld. Sie erfassen überraschende Hindernisse oder Personen auf der Fahrspur, damit das Fahrzeug sofort reagieren kann. Die Technik im Auto setzt die Befehle der Infrastruktur in Fahrmanöver um.
Beim automatisierten Fahren werden Level 0 bis 5, also sechs Stufen, unterschieden, wobei bei Level 0 noch nicht von Automatisierung gesprochen wird. Hier handelt es sich um Systeme, die den Fahrer bei Bedarf warnen oder kurzzeitig unterstützen, wie etwa beim elektronischen Stabilitätsprogramm ESP oder dem Notbremsassistenten AEB.
Ab den Leveln 1 und 2 hilft das Auto deutlich stärker mit. Beim assistierten Fahren – Level 1 – entlastet oder unterstützt ein Assistenzsystem in einem bestimmten Anwendungsfall den Fahrer. Das geschieht entweder beim Beschleunigen und Bremsen mit der adaptiven Abstands- und Geschwindigkeitsregelung ACC und oder beim Lenken des Fahrzeugs mit dem Spurhalteassistenten. Beim teilautomatisierten Fahren – Level 2 – kombiniert das System bereits einzelne Module, beispielsweise ACC und Spurhalteassistent. Doch bleibt bei Level 1 und 2 der Fahrer in der Verantwortung, muss das System zu jeder Zeit überwachen und in der Lage sein, einzugreifen.
Ab Level 3, dem hochautomatisierten Fahren, übernimmt das System in spezifischen Anwendungsfällen die komplette Fahraufgabe – wie bei einem Autobahnpiloten. Für maximale Sicherheit und Zuverlässigkeit sind deshalb ab dieser Automatisierungsstufe Systeme wie Lenkung, Bremse, Bordnetz und Datenverarbeitung meist redundant ausgelegt. Das heißt: Fällt ein System aus, ist immer noch ein anderes in der Lage, die Aufgabe zwar temporär zu übernehmen. Allerdings muss der Fahrer die Fahraufgabe dann nach Aufforderung wieder übernehmen. Kommt er dieser Aufforderung nicht nach, dann bringt das System das Fahrzeug in einen sicheren Zustand, beispielsweise sicher am Fahrbahnrand zum Stehen.
Das sieht bei Level 4 schon anders aus: Beim vollautomatisierten Fahren übernimmt das System die komplette Fahraufgabe in einem spezifischen Anwendungsfall auch dauerhaft – wie beim Automated Valet Parking von Bosch. Wird die Fahraufgabe in allen Anwendungsfällen vom System übernommen, so spricht man von Level 5, dem autonomen Fahren. Hier werden Fahrer vollends zu Passagieren.
Fahrzeuge trainieren Fahrzeuge – Updates erfolgen über die Cloud
Wann KI in einem Fahrzeug eingesetzt wird, hängt von der Art und Komplexität des Anwendungsfalls ab. Dafür bringen Unternehmen schlaue Fahrzeuge bereits heute in Forschungsprojekten auf die Straße, um die Künstliche Intelligenz zu trainieren. Sobald diese Systeme dann ein Basiswissen haben, können kleinere Flotten nach und nach mit den schlauen Systemen ausgestattet werden, um die KI noch mehr mit Daten aus einzelnen Fahrmanövern zu füttern. So entstehen Updates, die dann über die Cloud den anderen Fahrzeugen aufgespielt werden können.
Um das teil-, hoch- und vollautomatisierte sowie autonome Fahren auf die Straße zu bringen, braucht es neben der Entwicklung noch weitere Handlungsfelder. Dazu gehören auch die Ausbildung und Förderung von Software- und KI-Experten. Diese werden händeringend gesucht – der Wettbewerb ist intensiv, und man kann vor dem Hintergrund des demographischen Wandels sogar eine weitere Verschärfung erwarten. Um international wettbewerbsfähig zu bleiben, muss man heute schon die Weichen für zukünftige Talente stellen.
Alles also noch in weiter Ferne? Die Antwort darauf lautet nein. Denn der heutige Standard an Assistenzsystemen macht die mobile Welt heute schon sicherer und komfortabler. Nur mithilfe von KI jedoch kann das Auto der Zukunft zum rollenden Wohnzimmer werden.
Lothar Baum ist Leiter Entwicklung Künstliche Intelligenz bei Bosch.