„Da ist eine soziale Intelligenz am Werk“

Matthew B. Crawford. Foto Adam Ewing
Warum ein Auto selbst zu steuern zutiefst menschlich und gut für die Demokratie ist, erläutert Matthew B. Crawford, Autor der jüngst erschienenen „Philosophie des Fahrens“, im Interview.
Was hat selber lenken, statt sich fahren zu lassen, mit Demokratie zu tun?
Im Auto sind wir in einem privaten Raum unterwegs, teilen aber die Straße mit anderen, ein guter Startpunkt, um über Solidarität in individualistischen Gesellschaften nachzudenken. Eine Kreuzung in einem Entwicklungsland mag auf den ersten Blick chaotisch scheinen, sie ist aber auch ein beeindruckendes Beispiel für die menschliche Fähigkeit, zu kooperieren und spontan zu verhandeln. Kein Regelwerk steuert das Geschehen, stattdessen bringen Kommunikation und Adaption das Ganze in Fluss. Wir sehen, was der Philosoph Tocqueville als wichtig für den demokratischen Charakter ansah: die Fähigkeit, kollektive Probleme gemeinsam zu lösen. Überlassen wir das der Automatisierung, verkümmert unsere Fähigkeit zur Gemeinschaftlichkeit.
Selbstfahren lässt Raum für glückliche und weniger glückliche Zufälle, während das autonome Fahren diese durch Sicherheit ausbügelt. Warum mögen Sie diese Entwicklung nicht?
Ich könnte einem autonomen Auto etwas abgewinnen, wenn ich täglich pendeln müsste. Doch beim Selberfahren kommen Risiko und Chance auf wohltuende Weise hinzu. Wer so reist, weiß nie genau, was ihn erwartet, und diese Unvorhersehbarkeit ist zutiefst menschlich. Unser gegenwärtiges Interesse daran, jede Unsicherheit zu beseitigen, eliminiert das menschliche Element in menschlicher Aktivität und das Bedürfnis nach sozialem Vertrauen. Ersetzt wird es durch maschinell erzeugte Gewissheit. Dabei entsteht auch die Vorstellung vom Menschen als inkompetentes Wesen. Sie bestätigt sich selbst, wenn Maschinen menschliches Handeln übernehmen, dadurch unsere Fähigkeiten verkümmern und dies zu weiterer Automatisierung führt. Der Versuch, alles idiotensicher zu machen, führt dazu, dass wir zu Idioten werden.
Große amerikanische Techfirmen versuchen, Teil des Autofahrens zu werden. Googles Tochter Waimo ist führend beim autonomen Fahren. Was macht das für diese Unternehmen so interessant?
Die Motivation ist, Autos und ihre Insassen in die Überwachungs- und Aufmerksamkeitsökonomie zu integrieren. Wer sich beim täglichen Pendeln fahren lässt, wird nicht nur zu einem Überwachungsobjekt, sondern seine Aufmerksamkeit kann nun auch an den Meistbietenden versteigert werden.
Wird ein Mischverkehr aus von Menschen gesteuerten und autonom fahrenden Autos funktionieren?
Es gibt diese Anekdote über das Google-Auto, das an eine Kreuzung heranfuhr, anhielt und darauf wartete, dass alle anderen sich auch so verhalten, weil so die Regel ist. Doch Menschen handeln anders und lassen ihre Autos meist in die Kreuzung rollen. Das Google-Auto war gelähmt, weil die Welt für es keinen Sinn ergab. Der verantwortliche Ingenieur sagte später, er habe daraus gelernt, dass die Menschen sich weniger idiotisch verhalten sollten. Was er meinte, war, dass sie mehr wie Computer sein und sich an die Regeln halten sollten. Ihm war dabei völlig entgangen, was an einer Kreuzung wirklich vor sich geht. Da ist eine soziale Intelligenz am Werk: Menschen nehmen Blickkontakt auf, einer winkt den anderen durch, sie verständigen sich durch eine Art Körpersprache. Kurzum: Die Teilautomatisierung des Verkehrs, die Mischung aus Maschinen und menschlicher Intelligenz, erweist sich als ein weitaus schwierigeres technisches Problem, als man noch vor ein paar Jahren angenommen hatte. Damit autonome Autos funktionieren, muss man die menschlichen Fahrer loswerden – die keine Lobby haben.
Das klingt, als bräuchten wir eine Lobby oder sogar eine Bewegung, die das Selbstfahren rettet?
Das wäre vielleicht ein bisschen viel. Es wird immer eine Subkultur von Menschen geben, die selbst lenken wollen. Doch das Versprechen der Bequemlichkeit und der Entlastung von der Beteiligung an der Welt ist ein so starker Anreiz, dass wir uns weiter in Passivität und Abhängigkeit begeben werden.
Dass Selberfahren den Zufall auf eine positive Weise zulässt, klingt ein bisschen nach den alten Werbeversprechen vom Autofahren als Freiheit und Abenteuer. Fallen Sie als ein in den 1960er-Jahren Geborener da nicht auf Ihre eigene Nostalgie herein?
Vielleicht steckt wirklich ein wenig Nostalgie dahinter, die Sehnsucht nach einer Zeit, in der Autofahren sich anfühlte, als wären Gaspedal und Lenkrad direkt mit dem Bauchgefühl verbunden, und nichts funkte dazwischen. Vielleicht ist es auch nur ein Sinnbild für etwas, das wir zu verlieren glauben, nämlich eine unmittelbare Handlungsfähigkeit in der Welt. Es könnte also Nostalgie sein, aber das ist nicht unbedingt schlecht. Es ist eher ein Hinweis auf den Zustand der Welt, in der wir uns gerade befinden.
Das Interview führte Michael Hasenpusch.