Ab jetzt auch ohne Hände – manchmal

Wem selber lenken zu anstrengend ist, darf aufatmen: In Deutschland ist nun autonomes Fahren der Stufe 3 erlaubt. Foto metamorworks
Viele Hersteller arbeiten an selbstfahrenden Autos, die nächste Stufe wurde jüngst erreicht: Der Autopilot darf jetzt bis Tempo 60 auf der Autobahn selber lenken. Doch bis er immer und überall das Steuer übernehmen kann, wird es noch dauern.
Von Harald Czycholl
Es ist früher Abend, der Berufsverkehr auf der Stadtautobahn fließt langsam und zäh, der Stresslevel steigt. Während sich auf den Gesichtern der anderen Autofahrer ein zunehmend genervter Ausdruck breitmacht, schaut der Mann im Mercedes ganz gelassen und entspannt. Auch während der Fahrt greift er ungeniert zum Smartphone, liest und tippt. Das Lenkrad hat er längst losgelassen und den Blick immer wieder von der Fahrbahn abgewandt. Und das völlig legal: Er ist in einer S-Klasse mit dem sogenannten Drive- Pilot-System unterwegs, einer Art Autopilot, der zumindest in gewissen Grenzen das Steuer übernehmen kann und darf.
Das Drive-Pilot-System markiert einen wichtigen weiteren Schritt hin auf dem Weg zum autonomen Fahren. „Erstmals ist es in Deutschland mit diesem System technisch möglich und juristisch erlaubt, die Hände vom Lenkrad und die Augen von der Fahrbahn zu nehmen“, sagt Mercedes-Projektleiter Gregor Kugelmann.
Er macht aber gleich ein paar Einschränkungen: Weil sich auch der Gesetzgeber nur langsam in die Zukunft tastet, das Verkehrsgeschehen vorhersehbar sein und dem Fahrer im Zweifel genügend Zeit für die Rücknahme der Befehlsgewalt bleiben muss, darf der Autopilot aktuell nur bis Tempo 60 und ausschließlich auf der Autobahn arbeiten. Jahrelange Forschung und Entwicklung – und ein ebenso langes Ringen mit den Zulassungsbehörden – waren dazu nötig.
Nun ist auch in Deutschland möglich, was Tesla oder die General-Motors-Tochter Cadillac in Amerika schon länger propagieren: die freihändige Fahrt über Fernstraßen. Auf speziell kartographierten Strecken kann man in neuen Cadillacs schon länger während der Fahrt die Hände in den Schoß legen. Bei Tesla funktioniert das dank intelligenter Kameras theoretisch überall. Doch offiziell ist das System noch in der Beta-Phase, der trägt Fahrer immer die Verantwortung. Zudem ist es bei Tesla zu einer Reihe tödlicher Unfälle gekommen, die Zweifel am System geweckt haben.
Der Autopilot ist voll verantwortlich, aber auch stark reglementiert
Das soll es bei Mercedes nicht geben, betont Projektleiter Kugelmann. Der Hersteller stehe voll für das System ein und übernehme die Verantwortung, reglementiere seinen Einsatz dafür aber auch kategorisch: Nicht nur die passenden Verkehrsverhältnisse müssen gegeben sein – auch die Sicht für die Radar-, Lidar- und Ultraschall-Sensoren sowie die Kameras muss passen. Bei Regen oder Dunkelheit übergebe der Drive Pilot das Steuer daher sofort wieder an den Fahrer, so der Entwickler. Und weil der stets übernahmebereit sein muss, wird er permanent mit einer Kamera überwacht. Fallen ihm die Augen zu oder klettert er gar während der Fahrt aus dem Sitz, quittiert der Autopilot den Dienst.
Längst gehen die Ideen der Automobilhersteller weiter. Sie arbeiten an komplett fahrerlosen Systemen, die als Robotaxi, Shuttle oder unbemannter Kuriertransport neue Geschäftsmodelle erschließen und nebenbei den Verkehrsfluss in Ballungsräumen durch eine bessere Auslastung jedes einzelnen Fahrzeugs verbessern sollen. Schließlich stehen Autos in der Stadt die meiste Zeit herum und blockieren ohnehin schon knappen städtischen Raum. Solchen Überlegungen folgen Konzepte, wie sie die Hyundai-Tochter Mobis auf der Automobilmesse CES im amerikanischen Las Vegas Anfang des Jahres vorgestellt hat: ein automatisiertes Transportsystem mit großen und kleineren Roboter-Vehikeln. Die sollen nach der Vision der Koreaner demnächst durch Straßen und sogar Hausflure surren.
Was nach ferner Zukunft klingt, hat längst begonnen, meint Ferdinand Dudenhöffer, Professor für Automobilwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen. Er lenkt den Blick nach China: „Dort kann man die ersten Roboterautos bereits auf der Straße sehen.“ Als erstes Unternehmen lasse AutoX in Shenzhen Roboter-Taxen auf einer Fläche von 168 Quadratkilometern fahren, so Dudenhöffer. Und in Peking hätten die Unternehmen Baidu Apollo und Pony.ai die Lizenz, auf 350 Kilometern 67 führerlose Shuttle-Fahrzeuge auf den Weg zu bringen.
So ist es auch kein Zufall, dass der Audi mit den fahrerlosen Konzeptfahrzeugen skysphere, grandsphere und urbansphere zunächst auf den chinesischen Markt blickt. Die Fahrzeuge seien konsequent von innen nach außen gestaltet und speziell für den Verkehr in den Megacitys von China konzipiert, hebt Audi-Vorstandschef Markus Duesmann hervor, der bei dem Autobauer aus Ingolstadt die Verantwortung für den Markt China trägt. In diesen urbanen Regionen, wo persönlicher Raum besonders knapp bemessen ist, biete das Concept Car einen großzügigen, mit einer Vielzahl von intelligenten Technologien und digitalen Services ausgestatteten Innenraum.
Zukunftsvision: Luxus, Hightech und Privatsphäre in der Rushhour
Vor allem der großvolumige Audi urbansphere concept präsentiert sich dabei gleichermaßen als rollende Lounge und mobiles Arbeitszimmer. „Das Fahrzeug dient während der im Verkehr verbrachten Zeit als dritter Lebensraum“, so Duesmann. „Dafür verbindet es selbst in der täglichen Rushhour den Luxus völliger Privatsphäre mit einem umfassenden Hightech-Angebot an Bord.“ Die Technologie für automatisiertes Fahren verwandele das Interieur ohne Lenkrad, Pedalerie und Anzeigen in einen „mobilen Erlebnisraum“, schwärmt der Vorstandsvorsitzende. Natürlich wird das Fahrzeug nicht auf den chinesischen Markt beschränkt bleiben, wenn es einmal in Serie gegangen ist. Das Konzept, an dem chinesische Audi-Kunden mitgewirkt haben, „eignet sich auch für alle übrigen Ballungsräume rund um den Globus“, so Duesmann.
Auch für den Durchschnittsverdiener ist dank der rasanten Entwicklung ein bezahlbares, zumindest teilweise autonom fahrendes Auto nicht mehr weit. Massenhersteller wie General Motors haben für die Mitte der Dekade selbstfahrende Autos für jedermann angekündigt. Auch ihr Aktionsradius wird größer. Mercedes-Projektleiter Kugelmann ist fest davon überzeugt, dass der heutige Drive Pilot nur der Anfang ist und nicht nur bei höheren Geschwindigkeiten, sondern in fernerer Zukunft auch abseits der Autobahn das Kommando übernehmen kann.
Werden Fahrerin und Fahrer damit völlig überflüssig? Nein: Selbst fahren zu können ist für Kugelmann immer noch eine wichtige Fähigkeit: „Meinen Kindern würde ich schon noch zum Führerschein raten“, sagt der Entwickler. „Und meinen Enkeln wahrscheinlich auch.“