Was Diversität alles nicht ist
Foto Delmaine Donson/iStock
Vielfalt kommt nicht nur Frauen und Minderheiten zugute. Auch Männer profitieren von diversen Strukturen. Jedoch fehlt noch oft das Verständnis dafür, was Diversität eigentlich bedeutet.
Von Barbara Lutz
Kürzlich erhielt ich einen Anruf eines Topentscheiders aus der deutschen Wirtschaft. Sein Unternehmen möchte sich im Wettbewerb um weibliche Arbeitnehmerinnen ins bestmögliche Licht rücken. Er habe die PR-Kampagne eines Wettbewerbers verfolgt und herausgefunden, dass mein Team und ich hier zu Diversitätsfragen beraten haben. Welche Maßnahmen bei der Förderung von Frauenkarrieren denn bislang ergriffen worden seien, möchte ich wissen. Es heißt ja schließlich: „Tue Gutes, und rede darüber.“ Die Antwort ist ernüchternd. PR müsse nun das Problem des mangelnden Frauenanteils in der Belegschaft kurzfristig lösen, sagt man mir am anderen Ende der Leitung.
Diese Anekdote zeigt exemplarisch, wie es aktuell in manchen Firmen noch um das Thema Diversität bestellt ist. Das Thema hat zwar Konjunktur, viele Unternehmen sehen sich unter Zugzwang, „etwas zu tun“. Doch dieses Tun möchte man gern mit oberflächlicher PR-Kosmetik erledigen. Denn das Auseinandersetzen mit den eigenen Strukturen über oberflächliche Trainings hinausgehend ist schließlich mühsam.
In der deutschen Wirtschaft kursieren immer noch zahlreiche Missverständnisse zum Thema Diversity und Inklusion. Sie verstellen den Blick auf die vielen Chancen, die für Unternehmen eigentlich in diesem Thema liegen. Denn so viel sei an dieser Stelle bereits verraten: Diversität ist alles andere als ein Modethema. Eine substanzielle Beschäftigung lohnt sich in vielfacher Hinsicht, wenn man auf die dringenden Herausforderungen unserer Wirtschaft hinsichtlich Innovationskraft, War for Talent und Attraktivität für Investoren blickt. Lassen Sie mich deshalb die drei häufigsten Missverständnisse ausräumen.
Die Auffassung, die Förderung von Vielfalt sei vor allem eine Aufgabe der PR-Verantwortlichen, ist leider nach wie vor existent. Kommunikation ist in vielerlei Hinsicht wichtig. Sie ist aber kein Ersatz für eine substanzielle Diversitätsstrategie. Wer sich nach außen fortschrittlich und vielfältig gibt, im eigenen Unternehmen aber nichts dafür tut, bekommt schnell ein Problem. Marken und Unternehmen müssen die Werte, die sie nach außen vertreten, glaubwürdig leben und verinnerlichen. Denn die Menschen, die in den Unternehmen arbeiten, haben ein ausgeprägtes Gespür für Dissonanzen zwischen Reden und Tun. Diversität ist ein integraler Bestandteil der Corporate Culture. Bevor man darüber öffentlich redet, gilt es, erst einmal Gutes zu tun.
Nicht nur ein Thema für Aktivisten und Aktivistinnen
Seit nun mehr zehn Jahren berate ich mit meinem Team Unternehmen, die den Wandel zu mehr Diversität, Inklusion und zu einer neuen Arbeits- und Führungskultur vollziehen möchten. Die Haltung „Was haben wir mit diesem Thema zu tun?“ begegnet uns immer noch erstaunlich häufig, insbesondere auf den mittleren Führungsebenen, wo die Beharrungskräfte oft besonders stark ausgeprägt sind. Aber Diversität ist eben kein Thema nur für Aktivisten und Aktivistinnen, die pro forma mit am Tisch sitzen dürfen.
Die Graswurzelbewegungen waren und bleiben ungemein wichtig, wir verdanken ihnen vieles. Es gilt jedoch nun, den Diskurs auf einer noch breiteren gesellschaftlichen Ebene zu führen. Diversität gehört auf die Ebene des Topmanagements. Dort, wo Entscheidungen getroffen werden und wo wirklich etwas bewirkt und verändert werden kann. Immer mehr Unternehmen erkennen das. Diverse Organisationen sind nachweislich innovativer und erfolgreicher. Das belegen zahlreiche Studien und konkrete Praxisbeispiele.
Monotone Führungsteams, die nur aus Männern gleichen Alters mit ähnlicher Ausbildung und ähnlichem kulturellen Hintergrund bestehen, treffen auch monotone Entscheidungen. Große institutionelle Investoren, wie zum Beispiel Goldman Sachs, engagieren sich deshalb nur in Unternehmen, die ihre Diversitätsstandards erfüllen. Diversität ist also nicht nur eine Frage einer gerechteren Gesellschaft. Es ist auch ein wesentlicher Faktor für Unternehmenserfolg.
Arbeitnehmer profitieren in gleichem Maße von vielfältigen Strukturen
Häufig bekomme ich zu hören, dass sich ein Strukturwandel in Unternehmen schwierig gestalten werde, da sich gerade Männer von der Förderung von Frauen in ihrer beruflichen Existenz bedroht fühlen müssten. Aus voller Überzeugung kann ich sagen: Das ist ein großer und weit verbreiteter Irrtum. Das Gegenteil ist der Fall.
Männer profitieren im gleichen Umfang von Maßnahmen für mehr Vielfalt. Frauenförderung heißt nicht in erster Linie Frauenbevorzugung, sondern bessere und flexiblere Arbeitsbedingungen für die gesamte Belegschaft. Denn wenn klar ist, dass eine temporäre Auszeit durch Eltern- oder Teilzeit nicht zum Karriereknick führt, wird sie auch deutlich häufiger von Vätern in Anspruch genommen. Diversität ist kein Thema allein für Frauen und vermeintliche Randgruppen. Nur wenn alle überzeugt und mitgenommen werden, wird Vielfalt auch zum Erfolgsmodell. Bei Unternehmen, die dies erkannt haben und ernsthaft ihre Strukturen umbauen möchten, hakt es dennoch manchmal im ersten Anlauf.
Der Weg zu mehr Vielfalt ist leider manchmal auch schwierig, anstrengend und bisweilen sogar frustrierend. Diversität setzt einen umfangreichen Change-Prozess voraus, in dem Strukturen hinterfragt und aufgebrochen werden müssen. Das funktioniert nur mit Konsequenz und Transparenz. Die Entscheider spielen hier eine Schlüsselrolle. Die Unternehmensführung muss sich glasklar positionieren. Aussagen und Ziele müssen absolut unmissverständlich und messbar sein. Und sie dürfen keinen Spielraum für Interpretationen lassen.
Übrigens: Das Gegenteil von Diversität ist Monotonie. Und Monotonie bedeutet Stillstand. Diversität ist auch ein Investment für Innovation und Erfolg.
Barbara Lutz ist die Gründerin des Frauen-Karriere-Index (FKi). Mit dem Preis Impact of Diversity (IOD) wurde zudem eine Plattform geschaffen, deren Ziel es ist, die positive Wirkung von Diversität auf Unternehmen und Gesellschaft deutlich zu machen.