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Start-up in die digitale Zukunft

Die Gesundheitsbranche ist ein spannendes Feld für Gründerinnen und Gründer. Theoretisch. In der Praxis stoßen Start-ups auf viele Herausforderungen. Wie lassen sich bürokratische Hürden überwinden, wie überzeugt man Investoren? Ein Fachforum mit prominenten Teilnehmern findet Antworten.


Die Start-up-Förderung in Deutschland ist ein ernsthaftes und komplexes Thema, aber sie hat auch ihre humorvollen Seiten. Etwa wenn Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse, von einem Hamster mit gebrochenem Bein berichtet. Genauer gesagt, von den originellen Storys, mit denen manche Start-ups bei der TK ihre Geschäftsidee präsentieren. Wie der junge Gründer, der die Geschichte vom Hamster erzählte – das kranke Tier habe ihn auf die Idee zu seinem Medizin-Unternehmen gebracht. Dabei sei so etwas gar nicht notwendig, sagt Baas. Eine gute Idee spreche für sich, ganz ohne Hamster.

Das Publikum des Startup Forums

Mit dieser Episode sind wir schon mittendrin in der Konferenz „Von Einhörnern und (geplatzten) Träumen: Startup-Förderung in Deutschland“ im Verlagshaus des „Tagesspiegels“ in Berlin. Manager, Politikerinnen, Wissenschaftler und Gründerinnen und Gründer gehen dabei wichtigen Fragen auf den Grund: Warum haben es digitale Innovationen gerade in der Health-Branche so schwer, den Weg in den Markt zu finden? Wie können neue Ideen wirksam gefördert werden? Und wie kann man es schaffen, regulatorische Herausforderungen zu meistern, die innerhalb der Tech-Branche oft als Hürden für neue digitale Lösungen angesehen werden? Nicht zuletzt: Wie steht die Start-up-Förderung in unserem Land eigentlich im internationalen Vergleich da?

Was Investoren abschreckt

In seiner Keynote veranschaulicht Jens Baas das Problem gleich mit ein paar Zahlen: Während in den USA im vergangenen Jahr genau 492 „Deals“ zwischen Start-ups und Investoren mit einem Volumen von 10,7 Milliarden Dollar über die Bühne gingen, waren es in Deutschland gerade mal 85 Deals mit einem Volumen von 360 Millionen Euro. Die Ursache dafür – darin sind sich alle Konferenzteilnehmer einig – ist keineswegs nur, dass es sich um ein kleineres Land handelt. Baas nennt die wichtigsten Gründe: einerseits ausufernde Bürokratie, die es zum Beispiel erschwere, ausländische Fachkräfte zu beschäftigen. In der Folge schreckten Investoren oft vor einem Engagement zurück. Auch „restriktive Vorgaben“ machten es Start-ups im Gesundheitsbereich schwer. Wobei – und das ist dem TK-Chef wichtig zu betonen – der Datenschutz natürlich eine wichtige Errungenschaft sei, vor allem mit Blick auf die sensiblen Gesundheitsdaten. Aber: Es müsse beim Datenschutz eine angemessene Chancen-Risiko-Abwägung geben. Gerade für Innovationen im Gesundheitssektor sei die Verwendung von Daten unverzichtbar.

Jens Baas bei seiner Keynote

Wachstumsfond, Einwanderungsgesetz – und sonst?

An dieser Stelle ist die Politik gefragt, bei der Konferenz vertreten etwa durch Tina Klüwer aus dem Bundesbildungsministerium, die freimütig einräumt, die Abläufe im Ministerium seien „nicht die schnellsten“. Aber immerhin habe man einen Wachstumsfonds mit einem Volumen von zehn Milliarden Euro auf den Weg gebracht, auch erleichtere das Einwanderungsgesetz die Behebung des Fachkräftemangels. Insgesamt, so findet sie, sei die Situation für Start-ups „in den vergangenen zehn Jahren deutlich besser geworden“. Bei Technologien wie Quantenphysik und Robotik seien deutsche und europäische Unternehmen sogar führend. Jens Baas stimmt zu. Gerade im Gesundheitssektor habe sich mit dem E-Rezept und der Elektronischen Patientenakte einiges zum Positiven verändert. Er verweist aber auf eine andere politische Hürde, die es der TK verwehre, noch wirkungsvoller als bisher bei der Start-up-Förderung in Erscheinung zu treten: „Wir würden gerne in Ideen investieren, die für herkömmliche Kapitalgeber zunächst uninteressant sind, aber für die Versorgung der Versicherten große Vorteile bringen können.“ Der Status als Körperschaft mache es Krankenkassen aber nicht möglich, auch nur kleine Risiken einzugehen. Das sei aber das Wesen eines Engagements bei Start-ups, dass eine Rendite nicht garantiert ist. Ein gewisses finanzielles Risiko sei dabei unvermeidlich.

Moderator Johannes Steger, Jens Baas im Gespräch mit Tina Klüwer

„Die klassische Investorenlogik gilt hier nicht“

Warum dauert es oft so lange, bis im Health-Bereich ein neues Unternehmen am Start ist, warum schrecken viele Gründerinnen und Gründer gerade vor dieser Branche zurück? „In den USA gründen Start-ups ihr Unternehmen in zwei Stunden“, sagt Stephan Kühr, COO des Medizintechnik-Start-ups Xolo und kritisiert damit langwierige bürokratische Prozesse. Ähnlich sieht das Ariel Dora Stern, Professorin für Health, Economics and Policy am Hasso-Plattner-Institut. „Viele Firmen sagen, es lohnt sich nicht, nach Europa zu gehen.“ Manches sei zu träge in Deutschland; Krankenhäuser beispielsweise seien heute „noch so ähnlich organisiert wie vor 100 Jahren“. Es gebe aber noch einen anderen Grund für die Zurückhaltung mancher Investoren in der Gesundheitsbranche, analysiert Jens Baas: „Die klassische Investorenlogik gilt hier nicht.“ Ein Investment ziehe sich über einen langen Zeitraum hin, es müssten Nutzennachweise erbracht werden, kurz: Das schnelle Geld sei hier nicht zu verdienen.

Das Publikum des Startup Forums
Ariel Dora Stern, Verena Hubertz, Kati Ernst

Immer wieder aber schaffen es junge Unternehmen, mit ihren Ideen einen Markt zu erobern. Nicht zuletzt sei dies das Ergebnis einer „starken Forschungslandschaft in Deutschland“, wie Ludwig Ensthaler vom Wagniskapitalgeber „468 Capital“ betont. Einige dieser Start-ups stellen ihr Geschäftsmodell beim Forum vor. Zum Beispiel Eva Brandt, COO bei „Femna Health“, einer Aufklärungsplattform für Frauengesundheit. Über Femna bekommen Frauen Hilfe und Beratung bei Themen wie Endometriose, Zyklusbeschwerden, Kinderwunsch und Wechseljahre. Das Konzept kommt gut an. Oder, wie Brandts Kollege Jesse Hartinger im typischen Start-up-Jargon sagt: „Wir haben schon 40 000 Frauen auf ihrer Gesundheitsreise begleitet.“ Thomas Winkler, COO von Sleep2, einem virtuellen Schlaflabor für Zuhause, hat sein Start-up als Spin-Off der Universität Salzburg entwickelt; es kombiniert Analyse – zum Beispiel mit einem digitalen Schlaftagebuch – mit einem Programm zur Schlafoptimierung. Das schon erwähnte Unternehmen Xolo produziert Medizinprodukte wie Zahnkronen und Brillengläser mit 3D-Druck und unterstützt damit sogar die Reproduktion von Organen.

Drei Gründer und ein Investor: Jesse Hartinger (Femna Health), Investor Ludwig Ensthaler  (468 Capital), Eva Brandt (Femna Health), Thomas Winkler (Sleep2)

Ein besonderer Spirit

Wer den Unternehmerinnen und Unternehmern bei ihren Präsentationen zuhört, spürt sofort jenen Spirit, den Investor Fabian von Trotha beschwört. „Sie gehen nicht den bequemen Lebensweg, sondern tauschen Sicherheit gegen Risiko.“ Wobei es nicht immer die ganz große Ambition sein muss, nicht unbedingt ein Milliardenunternehmen, das in der Branche als Unicorn bezeichnet wird. „Start-ups sind auch für den soliden Mittelstand wichtig“, sagt Kati Ernst, selbst Gründerin und Vorstandsmitglied im Bundesverband Deutsche Startups. Sie setzt sich dafür ein, dass mehr Frauen den Schritt in die Selbständigkeit wagen: „Die Hälfte der Bevölkerung ist weiblich. Bei den Gründern sind es gerade 20 Prozent.“ Das müsse sich ändern. Ähnlich sieht das Verena Hubertz, frühere Gründerin und heute stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Es sei schon viel gewonnen, glaubt sie, wenn Investment-Boards paritätisch besetzt würden.

Fabian von Trotha

Funktioniert die Idee auch als Businesscase?

Was immer wieder deutlich wird: Vielen jungen Gründerinnen und Gründern fehlt es im Gesundheitsbereich an konkreten Personen, die sie mit ihrer Geschäftsidee ansprechen können. Ein Problem, das auch Jens Baas erkannt hat. Er möchte beim professionellen Innovations-Scouting der TK eine eigene Organisationseinheit etablieren, um die Kontaktaufnahme für Start-ups zu erleichtern. Am besten, wie er sagt, „mit einer Idee, die ein reales Problem löst und auch als Businesscase funktioniert“. Dann ist eine Story vom kranken Hamster gar nicht mehr notwendig.

Verena Hubertz ist Mitglied des Deutschen Bundestags und seit 2021 eine der stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion. 2013 gründete sie ihr eigenes Start-up, eine erfolgreiche crossmediale Kochplattform. Sie wirbt für die Start-up-Strategie der Ampelkoalition.

Fabian von Trotha hat ein Unternehmensportfolio mit mehr als 20 Digitalbeteiligungen aufgebaut. Bei der Verlagsgruppe Handelsblatt betreute er Investments im In- und Ausland. Er sieht in Gründerteams „Menschen voller Visionen und Schaffenskraft“.

Dr. Tina Klüwer leitet die Abteilung „Forschung für technologische Souveränität und Innovationen“ im Bundesministerium für Bildung und Forschung. Davor leitete sie das K.I.E.Z. – das Künstliche Intelligenz Entrepreneurship Zentrum. Sie sieht in Deutschland „großes Potential“ für Start-ups.

Dr. Kati Ernst ist Mitgründerin und Co-CEO der Female Empowerment Company „oioa“ und Host eines Podcasts zum Thema Langlebigkeit. Davor hat sie als Beraterin bei McKinsey gearbeitet. Als Vorstand des Start-up-Verbandes engagiert sie sich für mehr Engagement von Frauen.

Ludwig Ensthaler ist Tech-Investor und Partner beim Risikokapitalgeber 468 Capital. Das Unternehmen investiert unter anderem in das deutsche KI-Unternehmen Aleph Alpha. Er fordert mehr Unabhängigkeit von amerikanischen Geldgebern.

Eva Brandt und Jesse Hartinger gehören zum Gründerteam von FEMNA Health, einer Aufklärungsplattform für Frauengesundheit. Das Unternehmen kooperiert auch mit der TK.

Dr. Thomas Winkler ist CEO von Sleep2, einem Spin-Off der Universität Salzburg. Sleep2 entwickelte ein virtuelles Schlaflabor, in dem die Nutzer ihren Schlaf über einen Sensor analysieren.

Stephan Kuhn ist COO der Xolo GmbH, einem Pionier im Bereich des volumetrischen 3D-Drucks. Mit dem Verfahren werden sehr glatte Oberflächen gedruckt, die für die Herstellung von Medizinprodukten geeignet sind.

Wegweiser für Gründungen im Gesundheitswesen

Das Innovationsportal der TK richtet sich an Gründer:innen, die den Weg ins deutsche Gesundheitswesen suchen. Ein Leitfaden für die Produktentwicklung bietet Orientierung. Und ein Wegweiser durch das Gesundheitssystem erklärt Anforderungen und Regularien rund um Zugangswege und Verträge. Das TK-Innovationsportal gibt es auch in Englisch.

Über Die Techniker

Mit rund 11 Millionen Versicherten ist die Techniker Krankenkasse (TK) die größte Krankenkasse in Deutschland. Die rund 15.000 Mitarbeitenden setzen sich tagtäglich dafür ein, den TK-Versicherten eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung zu gewährleisten. Mit zahlreichen Innovationen – wie zum Beispiel der elektronischen Gesundheitsakte TK-Safe – ist es das Ziel der TK, die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzutreiben und ein modernes Gesundheitssystem maßgeblich mitzugestalten. Focus-Money zeichnete die Techniker bereits zum 17. Mal in Folge als „Deutschlands beste Krankenkasse“ (Focus Money 7/2023) aus.

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