Sind die Bundesjugendspiele ein Maßstab für Deutschlands Leistung?


Das Thema Leistung und Leistungsbereitschaft bei jungen Menschen ist seit vielen Monaten Gegenstand intensiver Diskussionen. Immer werden als Beispiel für fehlende Leistungsbereitschaft und -vermittlung die Reformation der Bundesjugendspiele herangezogen. Die Deutsche Sportjugend erklärt im Interview, warum der Vergleich hinkt und sie am Format Bundesjugendspiele festhält.
Sich-Messen bei den Bundesjugendspielen macht Spaß
Eine zentrale Frage lautet, ob der Leistungsaspekt bei den Bundesjugendspielen überhaupt noch eine Rolle spiele oder nur noch Spaß und Freude in den Mittelpunkt gerückt werden. Dabei ist eines klarzustellen: Miteinander-Wetteifern und Sich-Miteinander-Messen spielen bei den Bundesjugendspielen immer noch eine maßgebliche Rolle – und kann zusätzlich Spaß machen. Es geht nach wie vor darum, sein Bestes zu geben und seine jeweils erbrachte Leistung stetig zu verbessern. Ziel der Bundesjugendspiele ist es, Kinder an erste sportliche Vergleiche in den Grundsportarten Leichtathletik, Schwimmen und Turnen heranzuführen.
Reform der Bundesjugendspiele fördert Bewegung bei Kindern und Jugendlichen
Das seit dem Schuljahr 2023/2024 für die Klassenstufen 1-4 verbindlich durchzuführende Wettbewerbsformat in den Sportarten Leichtathletik und Schwimmen ist koordinativ vielfältiger ausgerichtet und kann an die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten angepasst werden. Durch den Verzicht auf ein starres Regelwerk und durch Zonenmessungen bietet sich die Chance, Kinder vielseitiger und ohne lange Wartezeiten zu bewegen. Dadurch wird die Bewegungszeit der Kinder erhöht und ihnen ermöglicht, erste sportliche Erfahrungen zu sammeln. Ehren-, Sieger- und Teilnehmerurkunden würdigen die erbrachte Leistung und bleiben ebenfalls bestehen. Im besten Falle sollten die Bundesjugendspiele inklusiv und im Rahmen eines begeisternden Sportfests, das auch schulübergreifend stattfinden kann, für möglichst alle Kinder motivierend und freudvoll durchgeführt werden.

Stefan Raid, 1. Vorsitzender der dsj, und Julian Lagemann, Vorstandsmitglied dsj, haben dazu eine klare Meinung:
Herr Raid, wie bewerten Sie die Notwendigkeit der Reform der Bundesjugendspiele?
Dass sich das Wettbewerbsformat der Bundesjugendspiele sehr viel stärker an der motorischen Entwicklung der Grundschulkinder orientiert bewerten wir absolut positiv. Im Grunde ist es ja auch keine Reform, sondern eine Anpassung, die nach der letzten Änderung von 2001 vielleicht schlicht zeitlich auch einfach notwendig war.
Für die Kinder ist es außerdem ein Segen, dass lange Warteschlangen an der Weitsprunggrube durch die Zonenmessung wegfallen und sich dadurch die effektiven Bewegungszeiten der Kinder während der Bundesjugendspiele erhöhen.
Daher hat der Ausschuss für die Bundesjugendspiele beschlossen, dass die verbindliche Durchführung des Wettbewerbsformats nicht nur -wie bisher- auf die Klassenstufen 1 und 2 zu beziehen, sondern auch auf die Klassenstufen 3 und 4 auszuweiten sind.
Wir als dsj haben diese Entscheidung im Ausschuss für die Bundesjugendspiele überzeugt mitgetragen, da es gerade im Grundschulbereich darum gehen sollte, Kinder freudvoll an den Sport heranzuführen und für die Grundsportarten kindgerecht und entwicklungsgemäß zu begeistern – ohne dabei an einem starren Regelwerk gebunden zu sein.
Herr Lagemann, was sollte Ihrer Meinung nach bei den Bundesjugendspielen im Vordergrund stehen?
Bei den Bundesjugendspielen sollte der Spaß an Bewegung und Sport im Vordergrund stehen. Werte wie Teamgeist und Fairness sollen durch soziale Aspekte wie das Miteinander gefördert werden. Die Bundesjugendspiele sollen ein Event sein, dass Lust auf Sport macht. Wenn wir es schaffen dadurch auch nur ein Kind mehr für einen Eintritt in den Sportverein gewinnen können, waren wir erfolgreich. Dazu braucht es allerdings auch Vorbereitung auf den Tag in den Schulen.
Und wie steht die dsj zu den vorgenommenen Änderungen? Reichen die Änderungen aus, um allen Kindern den Spaß an den Bundesjugendspielen zu ermöglichen?
Ein Blick in die Realität zeigt, dass aufgrund der zahlreichen Bäderschließungen der Nichtschwimmeranteil bei Grundschüler*rinnen mittlerweile auf 60 bis 70 Prozent angestiegen ist. Wenn es also überhaupt stattfinden kann, wären viele Schüler*innen bei der Durchführung des Wettkampfes Schwimmen ausgeschlossen, da eine normierte Leistungsmessung in Form von Streckenschwimmen mit Zeitmessung gefordert wird.
Wenn also zahlreiche Kinder, die die Grundschule verlassen, nicht schwimmen können und jedes 4. Grundschulkind nicht die von der WHO empfohlene tägliche Bewegungszeit von 60 Minuten erzielt, scheint es umso wichtiger, den Blick nicht nur auf den einen Tag in der Schule zurichten, an dem die Bundesjugendspiele durchgeführt werden, sondern die Bundesjugendspiele langfristig im Sportunterricht vorzubereiten und nicht zuletzt auch eine tägliche Bewegungszeit in der Schule zu
verankern.
Grundsätzlich erscheint es uns wichtig, dass die “Reform” der Bundesjugendspiele langfristig Wirkung zeigen kann und nicht von Anfang nur kritisch hinterfragt wird.
Herr Raid, Welche Rolle soll Leistung bei Kindern und Jugendlichen bei den Bundesjugendspielen spielen?
Leistung gehört beim Sport immer dazu und so auch bei den Bundesjugendspielen. Deshalb finden nach wie vor Leistungsmessungen statt und Kinder können auch die persönliche Entwicklung sehen und sich selbst challengen. Es geht auch weiterhin darum, sein Bestes zu geben und seine erbrachte Leistung stetig zu verbessern. Urkunden wird es auch nach wie vor als Ehren-, Sieger und Teilnehmerurkunde geben.
Eine persönliche Anmerkung möchte ich zur Debatte aber noch geben. Die Bundesjugendspiele als Referenz für fehlende Leistungsbereitschaft und -bewusstsein heranzuziehen erachte ich für schwierig. Nicht selten werden diese Vergleiche aus dem politischen Raum von jenen getätigt, die nicht in Sportstätten oder Sporthallen in Schulen investiert haben oder investieren wollen. Wer also Sport als Instrument für Leistungsbereitschaft fördern möchte, sollte dafür sorgen, dass Sport überhaupt möglich ist.
Die dsj vertritt den DOSB im Ausschuss für die Bundesjugendspiele und beteiligt sich damit an der Weiterentwicklung der Bundesjugendspiele. Außerdem beantwortet und unterstützt sie zahlreiche Anfragen von Schulen zum Regelwerk und zur Durchführung der Bundesjugendspiele.
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