Auf dem Weg in die Wasserstoffwirtschaft
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Jahrzehntelang wurde nur darüber gesprochen, jetzt zeichnen sich praktikable Anwendungen für Wasserstoff ab. Auch die Produktion kommt in Schwung. Wasserstoff empfiehlt sich als Energieträger der Zukunft und entwickelt sich zum Kernelement einer klimaneutralen Wirtschaft. Dafür sorgt nicht nur die Technologie, sondern auch die Diplomatie.
Für Wissenschaftler ist Wasserstoff, der heute als Energieträger der Zukunft gilt, eigentlich ein alter Hut: Sie sahen in ihm bereits in den 1970er-Jahren das Öl der Zukunft. Seitdem hat er eine Karriere hinter sich. Wasserstoff wurde – und wird auch heute noch – stets von hohen Erwartungen und heißen Diskussionen gleichermaßen begleitet. Zunächst verortete man ihn eher im Bereich der Mobilität, für Pkw, Lkw, Busse und Bahnen. Im öffentlichen Personennahverkehr hat sich die Technologie in Form von Brennstoffzellen tatsächlich bereits in der Praxis bewährt. Doch nun etabliert sich Wasserstoff als Energieträger auch in anderen Bereichen und ist auf dem besten Weg, ein zentraler Baustein einer klimaneutralen Wirtschaft zu werden.
Der Vorteil von Wasserstoff liegt seiner Fähigkeit, Energie indirekt zu speichern und bei Bedarf wieder abzugeben. Elektrischer Strom spaltet herkömmliches Wasser per Elektrolyse in Sauerstoff und Wasserstoff auf, letzterer kann dann in Tanks gespeichert und per Schiff oder Pipeline transportiert werden. Idealerweise wird dabei Strom aus erneuerbaren Energien wie Wind- oder Solarkraft verwendet. Diese gibt es zwar quasi frei Haus, aber leider nicht immer, dann und dort, wo sie gebraucht werden. Nachts und bei Windstille – der Dunkelflaute – produzieren weder Windräder noch Photovoltaikanlagen Strom. Genau dann könnte man den gespeicherten Wasserstoff mit Hilfe von Brennstoffzellen wieder in elektrischen Strom umwandeln. Dass er beispielsweise auch unter der Sonne Nigerias oder vom Wind Kasachstans erzeugt und dann verschifft werden könnte, macht Wasserstoff dem Erdöl so ähnlich.
Wie gut sich Wasserstoff bereits heute als Ersatz für fossile Brennstoffe eignet, zeigen erfolgreiche Projekte aus der jüngeren Vergangenheit, zum Beispiel im öffentlichen Personennahverkehr. So wird etwa die Niederbarnimer Eisenbahn in der Region Berlin-Brandenburg ab Ende 2024 sieben dieselbetriebene Züge durch wasserstoffbetriebene Siemens Mireo Plus H-Züge ersetzen. Dank Brennstoffzelle und Lithium-Ionen-Batterie bieten sie auf der Heidekrautbahn emissionsfreie Mobilität. Der Clou: Der benötigte Wasserstoff soll vor Ort, in Brandenburg, erzeugt werden. Dafür ist eine Produktionsanlage in der Nähe der Bahnstrecke geplant, die vollständig mit Sonnen- und Windenergie aus der Region betrieben wird. Finanziert wird das rund 60 Millionen Euro teure Projekt über eine maßgeschneiderte Leasinglösung der DAL unter Einbindung von Fördermitteln der KfW IPEX-Bank mit einer Laufzeit von 25 Jahren.
Auch im Güterfernverkehr ist Wasserstoff auf dem Vormarsch. Der Abschied vom Verbrennungsmotor steht bevor, anders können die Fahrzeughersteller die immer strenger werdenden CO2-Standards nicht erfüllen. Batterien, mit denen ein Lkw tausend Kilometer weit kommt, wären jedoch zu schwer, weshalb auch hier die Wahl auf die Brennstoffzelle fällt. In der Schweiz sind in einem Pilotprojekt mehrere Dutzend Lkw des koreanischen Herstellers Hyundai unterwegs, der sich damit an einer Initiative zum Aufbau eines flächendeckenden Netzes von Wasserstofftankstellen beteiligt. Auch Daimler Truck will grüner werden und entwickelt Brennstoffzellen-Lkws unter dem Kürzel GenH2. Am Brennstoffzellenantrieb selbst arbeitet Bosch erfolgreich. Die Serienfertigung läuft, Pilotkunde ist der US-Hersteller Nikola, dessen Brennstoffzellen-Lkw noch 2023 auf den Markt kommen soll. Neben der Brennstoffzelle sind auch E-Fuels in der Diskussion – synthetische Kraftstoffe, die aus Wasserstoff und dem in der Luft enthaltenen CO2 hergestellt werden. Verbrennungsmotoren und Tankinfrastruktur ließen sich so ohne große Umbauten weiter nutzen. Ob jemals E-Fuels in ausreichender Menge und zu konkurrenzfähigen Preisen hergestellt werden können, ist allerdings ungewiss.
Auch in der Industrie gewinnt der Wasserstoff zunehmend an Bedeutung. Als sogenanntes Prozessgas wird dem Energieträger eine große Zukunft bei der Herstellung von Ammoniak als Grundstoff für Düngemittel und in der Stahlproduktion vorausgesagt. Gerade im Stahlbereich zeichnen sich in Deutschland gewaltige Investitionen ab: ThyssenKrupp hat kürzlich eine Milliardenförderung zum Aufbau einer klimafreundlichen Stahlproduktion erhalten. Ähnliche Pläne gibt es bei Saarstahl und Dillinger im Saarland sowie bei der Salzgitter AG. Durch den Einsatz von Kohle und Koks blasen die Stahlhersteller bislang jährlich Millionen Tonnen CO2 in die Luft und tragen damit erheblich zu den deutschen Gesamtemissionen bei. Mit Wasserstoff soll sich dies ändern: Ab 2027 wollen die saarländischen Stahlhersteller mit Direktreduktionsanlagen und Elektroschmelzöfen 4,9 Millionen Tonnen CO2 einsparen – pro Jahr. Eine der Herausforderungen ist die Verfügbarkeit des grünen Wasserstoffs. Er soll zunächst regional erzeugt und später über eine noch zu bauende Pipeline aus Spanien über Frankreich ins Saarland geliefert werden.
The sky is the limit? Nicht für Wasserstoff. Auch an Flugzeugen, die sich damit betreiben lassen, wird gearbeitet. Das ist auch dringend nötig, schließlich hat die International Air Transport Association (IATA), der Dachverband von mehr als 290 Fluggesellschaften, den CO2-neutralen Luftverkehr für das Jahr 2050 angekündigt. Ohne „revolutionäre Ansätze“ sei das nicht erreichen, so die IATA, und einer dieser Ansätze ist eben der Antrieb mit Wasserstoff. Ob er direkt in den Triebwerken verbrannt wird oder über eine Brennstoffzelle die Motoren elektrisch antreibt, ist die eine Frage. Die andere ist, wie man ihn in ausreichender Menge mitführen kann, denn Wasserstoff braucht wegen seiner geringen Energiedichte viel mehr Platz als Kerosin.
Diese und andere Nutzungsszenarien verdeutlichen das Potenzial des Wasserstoffs, fossile Brennstoffe zu ersetzen, auch wenn der Weg dorthin je nach Anwendung noch weit sein kann. Dass Wasserstoff eine große Rolle spielen wird, zeigen aber nicht nur die Wasserstoffstrategien, die viele Länder in den vergangenen Jahren veröffentlicht haben. Auch die aktuell weltweit geplanten Elektrolysekapazitäten machen das klar: Australien will 80 Gigawatt (GW) produzieren, auf der iberischen Halbinsel sind 69 GW vorgesehen, in Kasachstan 30 GW, in Chile 25 GW und in Deutschland immerhin 10 GW. Damit einher geht auch eine neue Entwicklung in der deutschen Politik: Die sogenannte Wasserstoffdiplomatie schmiedet regelmäßig weltweit neue Energieallianzen. Nach Jahrzehnten der Ankündigungen scheint es nun wirklich ernst zu werden mit Wasserstoff als Öl der Zukunft.
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