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Am Torwächter vorbei

Am Torwächter vorbei

Foto hironosov/iStock

Von Gerti Keller

Wer aus den berühmten „einfachen Verhältnissen“ stammt, hat nach wie vor viel schwerere Start­bedingungen in Sachen Beruf als Kinder aus sogenanntem „guten Hause“. Das zu ändern ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit. Es lohnt sich auch für Arbeitgeber.

Kommt jemand aus der „falschen Familie“, dann kennt er oder sie zumeist auch nicht die „richtigen“ kulturellen Codes. In der Folge bleiben viele Türen für eine Karriere auf dem Arbeitsmarkt verschlossen. Tatsächlich zeigen alle Untersuchungen, ob PISA-Studie, OECD-Bildungsbericht oder aktueller Hochschulbildungsreport, dass Deutschland seine Hausaufgaben in Sachen Chancengleichheit immer noch nicht gemacht hat. Und Gründe für das „unten bleiben“ gibt es viele. So fehlt die Förderung von zu Hause, erfolgreiche Role Models sind absolute Mangelware, vom Vitamin B ganz zu schweigen, um nur einige der Ursachen zu nennen. Und oft herrscht in den weniger privilegierten Familien Ebbe im Geldbeutel. Damit sind oft auch keine Praktika möglich, von denen viele schlecht oder gar nicht entlohnt werden.

Dabei bringt es für Arbeitgeber Vorteile, Mitarbeitende aus nicht akademischen Bevölkerungsgruppen einzustellen. „Gemischte Teams bringen generell verschiedene wertvolle Erfahrungsschätze ein. Menschen, die aus einer sozialen Schicht kommen, wo nicht immer alles nach Plan lief, haben beispielsweise häufig mehr Verständnis für individuelle Pro­bleme ihrer Kollegen. Sie reagieren oft empathischer, weil sie Rückschläge schon selber erlebt haben“, sagt Silvia Annen, Professorin an der Universität Bamberg. „Auch ist unsere Gesellschaft schlichtweg bunt, und da helfen verschiedene Perspektiven, unter anderem beim Umgang mit Kunden.“ Zudem hätten diese „Kämpfer“, wenn sie es einmal geschafft haben, gelernt, sich durchzubeißen, gelten als durchsetzungsstark und zielorientiert.

Den Fuß in die Tür bekommen

Wer einen niedrigeren sozialen Background hat, traut sich im Allgemeinen weniger zu. Viele kommen nicht mal auf die Idee, sich auf Jobs zu bewerben, die Sprungbretter nach oben sein könnten. „Unternehmen müssen ihre Rekrutierungsstrategien breit aufstellen und schauen, in welchen Kommunika­tionskanälen und Medien diese potentiellen neuen Kollegen unterwegs sind“, rät die Wirtschaftspädagogin. Auch die Stellenausschreibungen sollten gezielt offen formuliert werden. Außerdem regt sie an, weniger auf Zertifikate zu achten und bei den Auswahlkriterien nicht nur darauf zu schauen, „wer den höchsten formalen Abschluss und die tollen Praktika vorweisen kann oder die meisten Fremdsprachen beherrscht“. Personaler sollten stattdessen einen breiteren Blick dafür haben, welche Fähigkeiten jemand mitbringt „auch wenn er vielleicht nicht der perfekte Lebenslaufoptimierer ist“.

Gerade Vorstellungsgespräche können wahre Stolpersteine sein. Denn dort prallen die kulturellen Codes aufeinander. Bewerber, die aus einem anderen Milieu stammen, haben es zumeist nicht gelernt, sich so zu präsentieren, wie es hier angemessen und erwünscht ist. Ausdrucksweise, Umgangsformen, Kleidung, Gestik und Mimik, all das bestimmt schon in den ersten Sekunden, ob man sich wiedersieht. Diese oft unbewussten Ressentiments können HR-Manager mithilfe von Schulungen abbauen. Noch hilfreicher ist es, wenn die Personalabteilung selbst divers zusammengesetzt ist. „Es ist ein Unterschied, ob ich diese Situationen am eigenen Leib erlebt oder nur etwas darüber gelesen habe“, betont Annen. Wer sich nach oben gearbeitet hat, kann die Defizite viel besser einordnen und vor allem auch die Potentiale erkennen.

„Im Grunde geht es darum, die ganze Unternehmenskultur so anzupassen, dass wirklich auch für diese Gruppen eine ‚Willkommenskultur‘ vorhanden ist. Damit sich potentielle Kandidaten und Kandidatinnen eben nicht wie Aliens fühlen, wenn sie die einzige Person mit entsprechendem Hintergrund auf weiter Flur sind“, erklärt die Wissenschaftlerin, die schon viele Laufbahnen im Hinblick auf Bildung und Berufschancen verglichen hat. Nach der Einstellung sind Mentoring-Programme Gold wert. Denn wenn man diese Förderung von den Eltern nicht bekommen hat, ist es umso wichtiger, jemand an der Seite zu haben, der einen unterstützt und versteht. Idealerweise finden sich dafür Mentoren, die aus eigener Erfahrung wissen, wie hart der Weg ist.

Bevor es um den direkten Jobeinstieg geht, können Unternehmen aber auch im Vorfeld tätig werden – zum Beispiel mit entsprechenden Brückenprojekten. So bietet BASF für die verschiedensten Fachrichtungen das einjährige Vorbereitungs-programm „Start in den Beruf“ an, mit Kennenlerntagen und Betreuer an der Seite. Die Deutsche Bahn wiederum hat 2020 mit der Menschenrechtsorganisation HAWAR.help das Projekt „Scoring Girls Ausbildung“ ins Leben gerufen. Es unterstützt junge Frauen aus unterschiedlichen Schichten bei ihrem Einstieg in die Berufswelt. Im Austausch mit den anderen Teilnehmerinnen und Coaches können sie ihre Stärken entdecken und lernen in Workshops verschiedene Abteilungen und Mitarbeitende der DB kennen. Die gemeinnützige Initiative „ArbeiterKind“ macht sich stark für Schüler aus Familien ohne Hochschul­erfahrung, damit sie als Erste in ihrer Familie studieren können. Dafür engagieren sich bundesweit 6000 Ehrenamtliche in 80 lokalen Gruppen.

Vorbereitungsprogramme fördern den Berufseinstieg

Tatsächlich beginnt der Aufstieg oft damit, dass irgendwo eine Tür aufgeht, zum Beispiel durch eine Bildungsberatung, die ein Praktikum ermöglicht. „Sobald die erste Person mal gesagt hat: ‚Okay, dann gucken wir mal‘, hat man den ersten wichtigen Zugang. Läuft es gut, gibt es dann auch eine erste Referenz. Sobald dieser Schritt einmal gemacht ist, geht es weiter. Auf diese Weise erwirbt man sukzessive sogenanntes soziales Kapital. Das heißt, man ist nun Teil der ‚richtigen‘ Netzwerke“, schildert die Wirtschaftspädagogin Annen, die auch viel zur Integration von Migranten geforscht hat. Danach kann der weitere Werdegang zum Selbstläufer werden – obwohl niemand auf dem Papier diesem Menschen vorher eine Chance gegeben hätte.

Bisher driftet die soziale Schere in Deutschland allerdings stetig weiter auseinander, während gleichzeitig der Fachkräftemangel zunimmt. Es liegt auf der Hand, das etwas getan werden muss. „Dieses sogenannte Gatekeeping, wodurch sich vielen Menschen geringe Chancen eröffnen, muss endlich verschwinden. Das ist meine Botschaft“, resümiert Annen.

 

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