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„Mehr Perspektiven auf die Welt“

„Mehr Perspektiven auf die Welt“

In jedem Unternehmen gibt es Aufgaben, die von Menschen erledigt werden können, die heute in Behinderten­werkstätten arbeiten. Foto lisegagne/istock

Diversität wird ein immer wichtigeres Thema in Unternehmen. Menschen mit Behinderung werden dabei allerdings oft übersehen. Wie lässt sich das ändern? Ein Gespräch mit Anne Gersdorff von der Inklusionsorganisation Sozialheld*innen.

Frau Gersdorff, wie inklusiv ist unser Arbeitsmarkt?
Luft nach oben wäre als Statusbeschreibung eine große Untertreibung. Es ist eher ein schwarzes Loch. In den meisten Unternehmen arbeiten keine oder nur sehr wenige Menschen mit Behinderung. Viele Firmen beteuern, dass sie gerne Fachkräfte mit Behinderung einstellen würden, sich aber niemand bewirbt. Dabei hören wir von vielen Menschen mit Behinderung, dass ihre Bewerbungen oft abgelehnt oder gar nicht beantwortet werden – auch bei entsprechender Qualifikation. Gleichzeitig finanzieren wir als Gesellschaft immer noch genug Strukturen wie Behindertenwerkstätten oder Berufsbildungswerke, die eben eine konsequente Inklusion auf dem Arbeitsmarkt verhindern.

Woran scheitert aus Ihrer Sicht die Inklusion auf dem Arbeitsmarkt?
Ich glaube, ein großes Hemmnis sind unbewusste Vorurteile. Wir haben in der Gesellschaft oder im Bildungssystem kaum ein inklusives Miteinander. Es gibt einfach viel zu wenig Berührungspunkte, viel zu wenig Normalität miteinander. Das führt auch in der Arbeitswelt zu Berührungsängsten und Unwissenheit, übrigens auf beiden Seiten. Das gilt nicht nur für den Umgang miteinander. Unternehmen wissen auch nicht, wie sie Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz unterstützen können, durch welche Softwarelösungen und durch welche Maßnahmen Barrierefreiheit gefördert werden kann. All das erschwert Inklusion immens.

Anne Gersdorff fördert Inklusion. Foto Andi Weiland

Wo bekommen Unternehmen Unterstützung bei ihren Fragen rund um berufliche Inklusion?
Es gibt viele Beratungsangebote, leider sind die in jedem Bundesland anders organisiert und das Angebot für Unternehmen oft sehr unübersichtlich. Zukünftig soll es aber im Zuge des Teilhabestärkungsgesetzes mehr einheitliche Beratungsstellen bundesweit für Unternehmen geben. Schon heute ist die Agentur für Arbeit ein guter Ansprechpartner. Dort gibt es Fördermittel und technische Berater und Beraterinnen, die Unternehmen bei der Inklusion am Arbeitsplatz unterstützen. Leider ist das immer noch nicht allen Arbeitgebern bekannt. Ein weiteres Problem ist die Langsamkeit der Bürokratie. Oft vergeht ein halbes Jahr und mehr zwischen dem Antrag auf Fördermittel und einer Bewilligung.

Das heißt, im Zweifel muss ein Unternehmen also selbst in Vorleistung gehen, bis endlich die nötigen Fördermittel zur Barrierefreiheit zur Verfügung gestellt werden?
Das ist für beide Seiten extrem frustrierend. Im schlimmsten Fall vergehen die sechs Monate Probezeit ohne richtige Unterstützung für den Mitarbeitenden mit Behinderung. In dieser Zeit sollte man eigentlich seinen Wert für das Unternehmen unter Beweis stellen, und das geht nicht, weil die gleichwertigen Arbeitsmaterialien fehlen. Es scheitert also auch nicht nur am Unwillen oder fehlenden Informationen, sondern eben auch an der langsamen Bürokratie. Ich sehe auch hier großen Nachholbedarf, Menschen mit Behinderung und Unternehmen müssen schnell und einfach an Informationen zu Unterstützungsleistungen kommen und diese auch schnell und unbürokratisch gewährt werden.

Wie profitieren Unternehmen davon, wenn sie Fachkräfte mit Behinderung einstellen?
Diversität ist ein immenser Gewinn für die Unternehmenskultur und das Arbeitsklima. Zum Beispiel schafft sie Verständnis und Offenheit für verschiedene Lebensumstände. Das gilt nicht nur für Menschen mit Behinderung, sondern eben auch für pflegende Angehörige oder Eltern von kleinen Kindern. Wenn es im Team oder in der Führungsebene viele verschiedene Perspektiven gibt, wird auch mehr Rücksicht auf andere Lebensumstände genommen und entsprechende Lösungen gefunden.

Gut untersucht ist auch der Gewinn an Kreativität und Innovation durch diverse Teams mit mehr Perspektiven auf die Welt. Das hilft zum Beispiel bei der Entwicklung von neuen Produkten oder Dienstleistungen sowie dem Finden von neuen Zielgruppen. Gleichzeitig sollten wir auch nicht den Fehler machen, Mitarbeitende mit Behinderung zu glorifizieren. Es gibt natürlich auch unter ihnen schlechte Arbeitnehmer. Auch diese Erkenntnis gehört zu einer gelungenen Inklusion.

Sie hatten schon die Werkstätten für Menschen mit Behinderung angesprochen. Sie stehen im Moment stark in der Kritik. Gleichzeitig arbeiten dort viele Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt kaum Chancen hätten. Wie sieht aus Ihrer Sicht eine Alternative aus?
Es braucht mehr Kreativität und ein Umdenken auf dem Arbeitsmarkt. Wir müssen weg von „Stelle A braucht Qualifikation B“ hin zu einem breiteren Aufgabenspektrum, orientiert an den Stärken der Menschen. Wenn wir genau hinsehen, gibt es in jedem Unternehmen einfache Aufgaben, die von Menschen erledigt werden könnten, die heute in der Behindertenwerkstatt arbeiten. Das reicht von Post und Botengängen bis zu kleinen Arbeiten in der Produktion. Ich habe unlängst von kleinen Werbeagenturen gehört, die einen Menschen mit Behinderung als Feel-Good-Manager eingestellt haben. Er war eben für die Küche, für die Pflanzen, für den Flausch im Team zuständig – Dinge, die sonst oft im Alltag hinten runterfallen. Wir bei den Sozialheld*innen beschäftigen jetzt zum Beispiel einen ehemaligen Werkstattbeschäftigten. Eigentlich sollte er unsere Veröffentlichungen auf leichte Sprache prüfen. Aber weil er so offen und kommunikativ ist, unterstützt er uns nun bei der Inklusionsberatung von Unternehmen.

Dieses Modell bräuchte vermutlich Begleitung für die Mitarbeitenden und für die Unternehmen – zum Beispiel durch Jobcoaches.
Dieses Angebot gibt es auch heute schon, leider wissen auch davon viel zu wenige Unternehmen. Für Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung Unterstützung bei der Einarbeitung benötigen, kann man einen Jobcoach beantragen. Dieser begleitet über die ersten Wochen und Monate den Einstieg und bleibt auch danach noch Ansprechpartner für alle Fragen und Probleme.

Wie groß sind Ihre Hoffnungen für die Zukunft? Inklusion macht in vielen Bereichen auch kleinere und größere Fortschritte.
Ich sage es mal so: Wir haben vor 14 Jahren die UN-Behindertenrechtskonvention unterschrieben, und bisher hat sich kaum etwas getan. Wir müssen also dringend etwas ändern – in der Gesellschaft und in der Wirtschaft. Dafür brauchen wir deutlich mehr Engagement von der Politik und den Unternehmen.

Das Interview führte Birk Grüling.

 

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