Das Purpose-Dilemma
Ein gelebter Purpose sorgt für eine stärkere Kundenbindung. Foto: iStock.com/nimis69
Früher reichte es, die Bedürfnisse der Kunden zu erfüllen, um ökonomischen Erfolg zu sichern. Heute verlangt das Purpose-Denken von Unternehmen, klar Position zu gesellschaftlichen, politischen und ökologischen Themen zu beziehen. Und gleichzeitig profitabel zu wirtschaften.
Von Emke Hillrichs und Brigitte Liermann
Ressourcenschonende Rohstoffe, transparente Lieferketten, Equal-Pay-Strategien auf der einen Seite – Wachstumsziele, Shareholder-Interessen und höhere Marktanteile auf der vermeintlich anderen Seite: Heutzutage muss sich jedes Wirtschaftsunternehmen ernsthaft mit der Frage beschäftigen, in welchem Verhältnis der Profit zum Unternehmenszweck, dem Purpose, stehen soll. Ein alleiniger Fokus auf Profitmaximierung gilt längst als nicht mehr zeitgemäß. Menschen erwarten von Unternehmen, auch gesellschaftlich Farbe zu bekennen. So entsteht das vermeintliche Purpose-Profit-Dilemma: Verantwortliches Handeln oder ökonomischer Erfolg – was sollte an erster Stelle stehen?
Gewinn- und Gemeinwohlorientierung sind glücklicherweise kein Gegensatz, sie bedingen sich vielmehr und müssen ausbalanciert sein: Ein Purpose braucht sogar ein profitables Geschäftsmodell, da der ökonomische Spielraum diesen garantiert und stützt. Er darf ihn aber nicht definieren, denn das Purpose-Denken ist größer als ein Zielsystem der Rendite-Maximierung. Um diese Balance zu erhalten, benötigt es einen klaren Willen in der Unternehmensführung. Die Erwartung ist da: Laut Edelman Trust Report sehen es 76 Prozent der Befragten als Aufgabe der CEOs von Wirtschaftsunternehmen, durch Unternehmenslenkung Veränderung zu bewirken.
Zwischen innerer Existenzberechtigung und Alleinstellungsmerkmal
Keineswegs ersetzt in einem Purposegetriebenen Unternehmen die Gemeinwohlorientierung die Gewinnorientierung. Im Gegenteil: Marken und Unternehmen, die einen gelebten Purpose haben, merken, dass dieser ergebniswirksam ist, macht er doch für immer mehr Menschen beim Griff ins Regal den Unterschied, rechtfertigt höhere Preise und sorgt für mehr Loyalität der Kunden. Zudem kann ein differenzierender und gut kommunizierter Purpose helfen, einen neuen Markt zu öffnen, wie sich am Beispiel der Amsterdamer Schokoladenmarke Tony’s Chocolonely zeigt. Diese hatte das Bewusstsein für faire Schokolade attraktiv und massentauglich gestaltet – und schaffte es damit bis ins Sortiment großer Handelsketten.
Zoomt man ein wenig heran, stellt man schnell fest: Der Unternehmenszweck ist keine Esoterik, sondern vielmehr eine innere Haltung, an der sich das Handeln und Wirken des Unternehmens orientiert. Jede Firma hat einen Purpose – den Grund für die Gründung. Dieses emotionale „Warum“ wird in der Diskussion oftmals mit einer höheren Moral gleichgesetzt. Das ist aber nicht zwingend der Fall. So erhob Porsche mit „Driven by dreams“ die innere Motivation von Ferry Porsche zum Purpose: „Am Anfang schaute ich mich um, konnte aber den Wagen, von dem ich träumte, nicht finden. Also beschloss ich, ihn mir selbst zu bauen." Was daraus folgte, zielte nicht aufs Auto, sondern auf das Individuum: Der Unternehmer wollte Menschen helfen, ihre persönlichen Träume zu verwirklichen. Das gelingt mit Sportwagen, die Ambitionen sind aber deutlich größer und spornen zu Innovationen außerhalb des ureigenen Geschäftsmodells an.
Auch die Deutsche Bahn ist eine Marke mit starkem Gründungs-Purpose – verankert in der Gründungsurkunde. „Wir sind das Rückgrat des Landes.“ Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zur „Starken Schiene“, die das Land verbindet. Ein gesellschaftlich relevantes, emotionales „Warum“.
Von der Shareholder- zu einer Stakeholder-Economy
2022 startete für den britischen Konzern Unilever unerfreulich. Das lag weder an der Corona-Pandemie noch den wirtschaftlichen Auswirkungen des Ukrainekrieges, sondern an der Purpose-Strategie von CEO Alan Jope. Indem er soziales Engagement mit ambitionierter wirtschaftlicher Performance in Einklang bringen will, setzt er öffentlichkeitswirksam auf Purpose in Kombination mit Profit. Doch nicht jeder zeigt sich davon begeistert. Einigen Großaktionäre und Investoren passt dieser neue Kurs offenbar nicht. In einem offenen Brief kritisierte Fonds-Manager Terry Smith die Nachhaltigkeitsstrategie und forderte das Unternehmen dazu auf, sich auf die Grundlagen seines Geschäftes zu konzentrieren. Die Debatte zeigt: Das Dilemma liegt hier nicht etwa darin, Purpose und Profit in Einklang zu bringen, sondern darin, den Schritt von einer Shareholder- zu einer Stakeholder-Economy zu machen. Dies verlangt, Verantwortung zu übernehmen und Sorge dafür zu tragen, dass der Fußabdruck, der durch ein Unternehmen entsteht, ausgeglichen wird. Das ist Transformation. Und die kann schon mal wehtun.
Demgegenüber stehen die Chancen, die eine klare Ausrichtung auf den eigenen Purpose mit sich bringt: Ein guter Unternehmenszweck als Nordstern hilft Unternehmen, relevant zu bleiben. Gut implementiert und kommuniziert, trägt er zur Differenzierung im Markt bei. Purpose gibt Innovation eine Richtung. Konsequent angewendet, hilft er, den Unternehmenserfolg langfristig zu sichern, und führt zu neuem Wachstum. Diese neue, holistisch nachhaltige Art von Wachstum brauchen wir, um in den aktuell volatilen Zeiten die Welt ein bisschen besser zu machen.
Zu den Autoren: Emke Hillrichs, Director Retail & Media Ecosystems, und Brigitte Liermann, Director Health & Nutrition bei der Strategieberatung diffferent.