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„Wir brauchen internationale Standards“

„Wir brauchen internationale Standards“

Franziska Coenen ist Expertin für Nachhaltigkeit in der Digitalbranche. Foto:privat

Für kleinere Firmen ist eine Klimabilanz noch freiwillig – und lässt daher oft die geforderte Aussagekraft und Transparenz vermissen, sagt Franziska Coenen, Gründerin und geschäftsführende Gesellschafterin der Digitalagentur dotfly.

Frau Coenen, warum sollten Unternehmen eine Klimabilanz erstellen?
Um herauszufinden, wie groß der eigene CO2-Fußabdruck ist. Nur so gibt es eine Basis für Überlegungen, an welchen Stellen man ihn in den Folgejahren verringern könnte. Das ist der Grund, wieso jedes Unternehmen eine Klimabilanz erstellen sollte.

Sie sind Gründerin einer Digitalagentur. Welche besonderen Herausforderungen entstehen bei der Erstellung einer Klimabilanz für digitale Produkte?
Die Schwierigkeit bei den Klimabilanzen ist, dass es keine verpflichtenden Standards gibt. Die meisten Unternehmen nutzen das Berechnungstool Greenhouse Gas Protocol, das in drei Kategorien, sogenannte Scopes, unterteilt ist. Scope 1 umfasst alle direkten Emissionen, die bei der Herstellung meiner Produkte entstehen. In Scope 2 ermittle ich meinen Energieverbrauch. Bei Scope 3 wird es interessant. Das sind meine indirekten Emissionen, die über die gesamte Wertschöpfungskette entstehen. Also alle Dienstleister, die ich nutze, gekaufte Rohstoffe, Logistik, meine Geschäftsreisen, die Anfahrten meiner Mitarbeiter und so weiter. Da entstehen Unmengen an CO2-Emissionen.

Erstelle ich als Unternehmen eine Klimabilanz, so bestehen insbesondere Anforderungen an die Berichterstattung für Scope 1 und 2. Die Messung von Scope 3 hingegen ist zwar vollumfänglich vorgeschrieben, diese Emissionen müssen jedoch nicht zwingend in der eigentlichen Bilanz ausgewiesen werden.

Das Geschäftsmodell einer Digital­agentur ist die Kreation digitaler Produkte. Dafür braucht man sehr viele Internet­ressourcen, die einen Großteil unseres CO2-Ausstoßes erzeugen. Diese Emissio­nen müssten beispielsweise aber gar nicht in die Klimabilanz einfließen. Das ist aber mehr oder weniger unser gesamtes Geschäftsmodell.

Wieso gibt es diese große Lücke?
Ich glaube, sie besteht, weil die Berechnung von Scope 3 unglaublich kompliziert ist. Nehmen wir das Beispiel Internet. Was berechne ich da? Starte ich damit, dass meine Mitarbeitenden im Internet surfen? Auf welchen Seiten und Applikationen bewegen sie sich? Wenn sie Google nutzen, welche User nutzen die Plattform auf welche Weise? Je nachdem, wo ich mich im Internet bewege, habe ich einen anderen CO2-Fußabdruck.

Es ist extrem wichtig, den Faktor Internet miteinzubeziehen – vor allem als Digitalagentur. Vor der Berechnung der Netznutzung war dotfly bei 20 Tonnen CO2 pro Jahr, danach bei 32,1 Tonnen. Also müssten in unserem Fall über 40 Prozent der CO2-Emissionen gar nicht in die Klimabilanz einfließen.

Wieso hat dotfly sich dazu entschieden, alle Emissionen mit einzuberechnen?
Wir möchten gerne transparent wissen, an welchen Schrauben wir drehen können, um unseren CO2-Ausstoß zu senken. Allerdings sind wir an unsere Grenzen gestoßen, als wir versucht haben, unseren Bürobedarf – vom Schreibtischstuhl bis zur Kaffeemaschine – mit einzuberechnen. Denn deren Herstellung erzeugt natürlich ebenfalls CO2. Aber für viele Möbel gibt es nicht einmal einen Richtwert, an dem wir uns hätten orientieren können. Uns fehlen unglaublich viele Daten, um realistische Zahlen aufzunehmen. Deshalb wäre es wichtig, eine Datenbank mit Richtwerten für CO2-Emissionen aufzustellen, an denen sich Unternehmen bei der Klimabilanz orientieren können.

Was halten Sie von CO2-Kompensation, um die von Unternehmen verursachten Emissionen auszugleichen?
Wenn ich CO2 ausstoße, dann habe ich Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen, ob ich es ausgleiche oder nicht. Man zahlt etwa zwölf bis 15 Euro pro Tonne, um den Ausstoß zu kompensieren. Das hat nichts mit dem reellen Schaden zu tun, den eine Tonne CO2 in der Umwelt verursacht. Normalerweise müsste man pro Tonne laut Berechnungen des Umweltbundesamts etwa 180 Euro zahlen. Deshalb sind wir über die geforderte Kompensation hinausgegangen und haben diese durch eine vierstellige Spende an ein zertifiziertes Projekt in Deutschland aufgestockt.

Als Alternative stünde dann nur eine Senkung der Emissionen zur Verfügung.
Ja, genau. Wir senken unsere Emissionen, indem wir zum Beispiel Rechner und technische Geräte länger nutzen und nicht andauernd neue kaufen. Wenn einmal aber Neuanschaffungen nötig sind, setzen wir auf generalüberholte Gebrauchtware. Auch die Entsorgung spielt eine Rolle. Schmeiße ich Devices oder Möbel einfach weg oder verschenke ich sie? Und wenn ich sie wegwerfe, werden sie dann recycelt? Zusätzlich motivieren wir unsere Mitarbeitenden, ihre Fahrtwege zu optimieren. Dafür bieten wir zum Beispiel Jobfahrräder an und zahlen ein Jobticket. Außerdem achten wir in unserem Unternehmen auf die Ernährung. Bei uns gibt es keine tierischen Produkte mehr, denn die gehören zu den größten Klimatreibern.

Ein großer Hebel ist außerdem die Umstellung auf Ökostrom. Trotzdem sollte man darauf achten, nicht zu viel Strom zu verbrauchen. Zuletzt haben wir unsere gesamten Dienstleister, wo möglich, auf nachhaltige Anbieter umgestellt.

Was muss sich ändern, damit Klimabilanzen im Digitalsektor transparent, realistisch und dadurch vergleichbar werden?
Es muss eine Institution geben, die internationale Standards für alle festlegt. Es muss Klarheit darüber herrschen, welche Emissionen bei welchen Unternehmen und welchen Branchen einberechnet werden. Und es ist vor allem wichtig, dass der Scope 3 zwingend in jeder Klimabilanz auftauchen muss. Eine Alternative wäre der Aufbau individueller Scopes, je nach Branche.

Ich würde mir nichts sehnlicher wünschen, als dass bei den Konsumenten und den Unternehmen ankommt, dass die Vermeidung von CO2 ein superwichtiges Thema ist.

Das Interview führte Kim Berg.

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