

„Warum wir über Burnouts offen reden müssen”
Selena Gabat ist Head of Marketing für die Region Europa, Middle East und Afrika des Netzwerkes LinkedIn. In einem ihrer vorherigen Jobs arbeitete sie jeden Tag über ihre Grenzen hinaus – bis zum Burnout. Was sie diese Erfahrung lehrte, erzählt sie hier selbst.

Psychische Belastungen können jeden treffen – doch das Thema ist noch immer stigmatisiert (Quelle: Unsplash/Inside Weather)
„Frau Gabat, Sie haben einen Burnout.“ Als ich diese Worte meiner Ärztin hörte, habe ich sie gar nicht wirklich ernst genommen. Ich? Burnout? Klar, aktuell ist viel zu tun, aber so ist es doch immer, dachte ich. Aber meine andauernden Schwindelgefühle und diese bleierne Müdigkeit – wegen derer ich überhaupt erst zur Ärztin gegangen bin – die haben doch sicher andere Ursachen. „Na gut“, sagte ich. „Dann versuche ich eben, mich mehr zu entspannen, mache mehr Yoga“. Meine Ärztin und auch mein Mann, der mich zu diesem Termin begleitete, schauten mich ernst und gleichzeitig besorgt an. „Ich fürchte, sie nehmen ihre Situation nicht ernst. Ich schreibe Sie jetzt erstmal zwei Wochen lang krank“. Ich musste fast lachen und weinen zugleich, so absurd schien mir diese Vorstellung. Seit ich in meinem damaligen Job angestellt war, hatte ich nicht mal zwei Wochen Urlaub am Stück genommen! „Unmöglich, wir haben dieses riesige Projekt, und außerdem …“ Doch mein Mann drückte mir fest die Hand, schaute mir in die Augen und meinte: „Nein Selena. Hör auf die Ärztin. Mach eine Pause.“
Um ehrlich zu sein, habe ich mich dann nur meinem Mann und meiner Familie zuliebe krankschreiben lassen. Mir gefiel das gar nicht, zudem ging es mir dadurch erst noch schlechter, meine Schlaflosigkeit verschlimmerte sich sogar. Und natürlich hat auch meine Chefin nicht den wahren Grund meiner Krankschreibung von mir erfahren, "Es ist eine Magenschleimhautentzündung“ sagte ich ihr. Schon seltsam, dass es uns weniger „peinlich“ ist, so offen über unsere (vermeintlichen) Verdauungsprobleme zu sprechen, aber wenn uns etwas psychisch belastet, können viele von uns nicht ehrlich sein.

Lebt einen offenen Umgang mit psychischen Belastungen vor: Selena Gabat, Head of Marketing LinkedIn EMEA (Quelle: LinkedIn)
Burnout ist immer noch stigmatisiert
Aus einer aktuellen LinkedIn Studie1 geht hervor, dass 39 Prozent der Deutschen am Arbeitsplatz verschweigen, dass sie psychische Probleme haben und 46 Prozent sogar Ausreden oder andere Erkrankungen vorschieben – zu diesen zählte also auch ich. Doch warum ist das so? Fast die Hälfte der Befragten (43 Prozent) glaubt, es könne den Verlauf ihrer Karriere hemmen, offen über psychische Belastungen zu reden. Auch ich muss zugeben, dass ich diese Angst damals hatte – ich wollte unbedingt weiterklettern auf der Leiter nach oben und dachte, dass ich da bloß keine „Schwäche“ zeigen dürfte. Gleichzeitig war ich der Ansicht, meine Leistung nur durch möglichst viele Überstunden und ständige Erreichbarkeit demonstrieren zu können.
Warum ich und wie kam es überhaupt so weit?
Rückblickend weiß ich, es lag an meinen eigenen, viel zu hohen Ansprüchen: in meinen Augen war meine Leistung nie „gut genug“. Diese gesteigerte Erwartungshaltung an mich selbst konnte ich einfach nie erfüllen. Und so machte ich immer weiter und weiter, nach Feierabend, am Wochenende, im Urlaub. Mein Mann beschreibt mich rückblickend in dieser Zeit als „Zombie mit Laptop”, der gar nicht richtig bewusst bei ihm oder unseren Kindern war.
Dass ich wirklich unter einem chronischen Erschöpfungssyndrom litt, wurde mir erst während meiner Krankschreibung bewusst. Am Ende der ersten zwei Wochen stieg plötzlich Panik in mir hoch – Montag erschien ich dann zwar wieder zur Arbeit, kehrte aber nach wenigen Stunden auf dem Absatz wieder um, weil mich schon die ersten Meetings platt machten. Diesmal habe ich mich freiwillig erneut krankschreiben lassen. Meine Familie litt unter meiner Anspannung. Ich war gereizt, gestresst und hatte vergessen, was früher meine kleinen Zufluchtsorte der Erholung waren. Ich sah mich beruflich und privat scheitern und war wie gelähmt.
Ich suchte mir eine Therapeutin und lernte durch sie, dass wir alle bestimmte Glaubenssätze verinnerlicht haben, unsere Treiber. Meine zwei stärksten: „Ich darf keine Fehler machen”, und „Ich muss immer perfekt sein”. Ich sollte diesen Treibern Namen geben, ich nannte sie Waldorf und Statler, wie die beiden mies gelaunten Kritiker aus der Muppet Show, die mit ihren sarkastischen Äußerungen jeden Auftritt kritisierten. Woher diese Treiber kommen, ist unterschiedlich. Oft geben unsere Eltern sie ans uns weiter, aber auch durch die Schule oder Freund:innen übernehmen wir sie. Durch die Therapie und Achtsamkeitsübungen habe ich gelernt, diesen Treiber immer wieder zu hinterfragen und daraus positive Glaubenssätze zu verinnerlichen, z. B. „Ich darf Fehler machen!” Oder „Ich bin gut, so wie ich bin.” Und ich habe gelernt, auf bestimmte Signale zu hören. Was meinen alten Job angeht: Ich habe eingesehen, dass ich mich in diesem Umfeld zu sehr verbiegen muss und persönlich nicht aus dem Hamsterrad herauskomme. Daher habe ich gekündigt und mir ein neues Arbeitsumfeld gesucht.
Lasst uns gemeinsam das Stigma brechen!
Jetzt werden sich vielleicht einige Leser:innen fragen: Warum erzählt sie das eigentlich so offen? Was soll ihre damalige Managerin denken, was sagen ihre Kollegen:innen und Mitarbeiter:innen dazu? Genau das ist der Punkt. Noch immer wird das Thema psychische Gesundheit stigmatisiert – erst recht am Arbeitsplatz. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass knapp ein Drittel der Deutschen ohne Führungsverantwortung (31 Prozent) das Gefühl hat, weder mit Kolleg:innen noch mit der Führungskraft über psychische Belastungen reden zu können. Doch wie können wir dieses Stigma brechen, wenn wir nicht darüber sprechen?
Ich gebe zu, dass ich in meinem alten Job kein gutes Vorbild war – ich habe meinen Burnout verschwiegen. Nicht wenige der Kolleg:innen um mich herum haben sich damals bei mir ebenfalls mit „Magen-Darm“ für mehrere Wochen krankgemeldet. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ein offener Umgang mit meiner Erkrankung ihnen die Tür geöffnet hätte, selbst ehrlich darüber zu reden. Deshalb wünsche ich mir, dass wir alle mehr über das Thema psychische Belastungen am Arbeitsplatz sprechen – allen voran die Führungskräfte. Wir sitzen meiner Meinung nach „am längsten Hebel”, wenn es darum geht, Veränderungen anzustoßen. Erzählen wir offen unsere Geschichte, sendet das ein Signal an unsere Mitarbeitenden: „Es ist okay, am Arbeitsplatz über mentale Gesundheit zu sprechen.”
Denn auch das gehört zum oft zitierten New Work: Die Arbeitswelt ist im Wandel und neben Themen wie Teilzeit, 4-Tage-Woche oder Remote Working spielt auch die Entstigmatisierung von psychischen Belastungen eine Rolle. Dabei müssen wir ein Umfeld schaffen, in der es sich für Mitarbeitende okay anfühlt, genauso offen über den Bandscheibenvorfall wie über einen Burnout zu sprechen. Wir helfen unserem Team mit ergonomischen Stühlen, nehmen ihnen die Laptop-Tasche ab, wenn sie über Rückenschmerzen klagen. Genau diese Unterstützung wünsche ich mir für mentale Krankheiten. Zum Beispiel mit einem offenen Ohr, einem ehrlichen „Wie geht es dir wirklich?“.
Maßnahmen für einen offeneren Dialog über psychische Belastungen
LinkedIn setzt sich bereits seit Längerem für solch ein modernes Arbeitsumfeld ein. Mit verschiedenen Maßnahmen und Aktionen ermutigen wir alle, sich an diesem wichtigen Dialog zu beteiligen und ihn zu fördern. Auch Menschen, die nicht betroffen sind. Mehr Infos dazu gibt es auf unserer Plattform unter den Hashtags #ConversationsForChange und #FutureOfWork sowie in unseren Social-Media-Kanälen.
Ich für meinen Teil versuche heute jeden Tag, in meinem Team genau zuzuhören und hinzuschauen – und selbst vorzuleben, dass psychische Erkrankungen nichts sind, für das man sich schämen müsste. Lasst uns darüber sprechen, denn wir hängen da alle zusammen drin!
1 Das Marktforschungsunternehmen YouGov hat die Umfrage im Auftrag von LinkedIn online zwischen dem 27.-30. September 2021 durchgeführt. Befragt wurden 2.018 deutsche Arbeitnehmer:innen, die einer Bürotätigkeit nachgehen, davon 1.001 Teilnehmer:innen ohne und weitere 1.017 Teilnehmer:innen mit Führungsverantwortung.